Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
wollen oder nicht. Ökonomie sei wie Schwimmen gegen den Strom. Wenn man sich nicht mehr müht, vorwärtszukommen, driftet man automatisch zurück, und alles triebe über kurz oder lang den Bach runter. Nicht für das Leben wirtschaften wir, sondern für die Wirtschaft!
Stimmt das? Die prominenten Anwälte dieser Vorstellung stammen aus allen politischen Lagern. Aus genau dieser Sicht hatte schon Karl Marx Mills »stationären Zustand« als romantische Illusion attackiert. Der Kapitalismus, so Marx, sei zum Wachstum verdammt, weil sonst die Profitraten tendenziell fielen und das System zusammenbräche. Mit ähnlichen Argumenten erklären heutige Ökonomen, dass die Wirtschaft wachsen muss, weil sonst viele Menschen arbeitslos würden. Nur Wachstum, so die Idee, sichere Beschäftigung und garantiere unsere Versorgung im Alter. Aber warum?
Auf diese Frage gibt es erstaunlich wenig gute Antworten. 8 Eine davon stammt von dem Schweizer Volkswirtschaftler Hans Christoph Binswanger (*1929) von der Universität St. Gallen. Binswanger ist der vielleicht wichtigste Pionier und Anreger für den Umbau der Industriegesellschaften zu einer ökologisch nachhaltigeren Wirtschaftsform. Und er ist der Doktorvater von Josef Ackermann, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank. Doch während sein weit vom Stamm gefallener Apfel noch vor kurzem ein Wachstum der Renditen von 25 Prozent für sein Geldinstitut anstrebte, meint Binswanger: Es geht auch ohne Wachstum.
Um sich vom Wachstumswahn zu befreien, muss man verstehen, warum es ihn gibt. Die Erklärung, so Binswanger, sei eigentlich ganz schlicht. In seinem Buch »Die Wachstumsspirale« fasste er seine Theorie 2006 zusammen. 9 Danach funktioniert das Spiel so: Um neue Produkte zu entwickeln und ihre Herstellung zu finanzieren, braucht ein Unternehmen Geld. Da es diese Beträge im Regelfall nicht auf der hohen Kante hat, muss es sich Geld
bei einer Bank leihen. Für dieses Geld zahlt das Unternehmen Zinsen. Damit sich das Ganze rechnet, müssen die Gewinne des Unternehmens höher sein als die Summe der Zinsen. Gewinne kann ein Unternehmen aber nur dann machen, wenn seine Produkte auch gekauft werden. Die Produkte können aber nur dann erworben werden, wenn die Kaufkraft der Bevölkerung steigt. Die Kaufkraft der Bevölkerung aber steigt nur dann, wenn die Unternehmen höhere Löhne zahlen. Und um höhere Löhne zu zahlen, muss das Unternehmen neu investieren und sich Geld leihen für künftige Gewinne und so weiter und so fort.
Die spannende Frage ist nun: Wie lässt sich diese Wachstumsspirale vermeiden? Indem man vorne anfängt, meint Binswanger, bei der Aufnahme von Krediten. Wenn jede Bank so viele Kredite verteilt, wie sie für richtig hält, kommt immer mehr Geld in die Volkswirtschaft und treibt die Spirale weiter. Bekanntlich besitzen Banken das Geld nicht, das sie verleihen, sondern nur einen winzigen Bruchteil davon. Jeder Kredit ist eine zusätzliche und weitgehend unkontrollierte »Erfindung« neuer Summen. Doch damit müsse Schluss sein. Wer dem Wachstumswahn entfliehen will, der muss die Macht der privaten Banken drastisch verkleinern. Nicht sie, sondern nur noch die Zentralbank dürfe weiterhin Kredite verteilen, zu ziemlich geringen Zinsen. Die privaten Banken dagegen würden degradiert zu reinen Verwaltern von Guthaben. Auf diese Weise würde der unkontrollierte Geldfluss reguliert, eine Inflation nahezu ausgeschlossen und der Wachstumszwang gebremst. Denn wo kein neues Geld entsteht, kann auch keines eingefordert und verteilt werden.
Wie realistisch es ist, gegen alles heute geltende nationale und internationale Recht, die Macht der Banken auf Zwergenformat zu reduzieren, sei einmal dahingestellt. Vermutlich hängt es vom weiteren Krisenverlauf der Finanzwirtschaft ab. Wenn Geldinstitute bei zukünftigen Crashs nicht mehr gerettet werden können, ohne dass es die Volkswirtschaft völlig ruiniert, werden sich viele Banken wahrscheinlich selbst entmachten und damit einen völlig
neuen Markt schaffen. Doch ob dieser dann tatsächlich mit weniger Wachstum auskommt, steht in den Sternen.
Im gegenwärtigen Bewusstsein von Ökonomen und Politikern erscheinen Binswangers Ideen so klug wie weltfremd. Denn an einen Ausstieg aus dem Wachstumswahn vermögen selbst diejenigen kaum zu glauben, die ihn durchschauen. Natürlich wissen wir, dass wir unser materielles Wachstum nicht nur teuer, sondern viel zu teuer bezahlen. Wir vergiften die Atmosphäre, plündern im Wettlauf
Weitere Kostenlose Bücher