Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
Statuen nicht essen konnten. Voll Ingrimm stürzten sie ihre Skulpturen um, wie die Bevölkerung Bagdads das Denkmal von Saddam Hussein. Aber es war zu spät. Neunzig Prozent der Einwohner waren gestorben, die Überlebenden fristeten ein karges Los.
Wie hatte es dazu kommen können? Und warum verhinderte niemand den sich anbahnenden ökologischen Selbstmord einer ganzen Zivilisation? Warum erkannte keiner auf der Osterinsel, dass mit dem Holzfällen ganz schnell Schluss sein musste? Und wenn er es erkannte, warum wurde er nicht gehört? »Was mag«, fragt der Evolutionsbiologe Jared Diamond (*1937) von der University of California in Los Angeles, »derjenige gedacht haben, der auf der Osterinsel den letzten Baum gefällt und damit den unaufhaltsamen Untergang einer 700 Jahre lang erfolgreichen Kultur besiegelt hat?« 1 Die Antwort auf diese Frage, die Diamond sich selbst gibt, ist so schlicht wie realistisch: »Wahrscheinlich, dass Bäume schon immer gefällt wurden und dass es völlig normal sei, wenn auch der letzte fällt.«
Nach Arthur Schopenhauer durchläuft jede gesellschaftliche Frage auf dem Weg der Anerkennung drei Stufen. Erst wird sie verlacht, dann wird sie bekämpft, und am Ende gilt sie als selbstverständlich. Vielleicht war es auf der Osterinsel einst genauso. Erst nahm niemand die Mahner ernst. Dann versuchte man ihre Meinung gewaltsam zu unterdrücken, und am Ende dachte eine ganze Gesellschaft: »Jetzt ist es sowieso egal. Man kann ja nichts mehr ändern.«
Natürlich sind die Vorgänge auf der Osterinsel ein hervorragendes Beispiel für shifting baselines. Da der Wald im Laufe mehrerer Jahrhunderte schwand, wurde die neue Generation stets in eine andere ökologische Situation hineingeboren. Wer mit einem Baumbestand von zwanzig Prozent des ursprünglichen aufwächst, den irritiert nicht allzu sehr, dass es im fortgeschrittenen Lebensalter nur noch 15 Prozent sind. Und der Holzfäller, der irgendwann im 17. Jahrhundert den letzten Baum fällte, war bereits auf einer fast baumlosen Insel geboren worden. Auf diese Weise dürfte nicht verwundern, dass wohl nur die wenigsten die Situation als außergewöhnlich dramatisch wahrnahmen, selbst als man nur noch Seevögel verzehrte. Die verbliebenen Osterinsulaner des 18. Jahrhunderts lebten übrigens sehr bescheiden von der Hühnerzucht. Vermutlich, weil sie von Kindesbeinen an gelernt hatten, dass man in ihrer Heimat Vögel aß.
Das Beispiel der Osterinsel ist deshalb gewählt, weil es frappierende Parallelen zeigt zu unserer industrialisierten Gesellschaft. Nach Diamond ist unsere Erde ebenso im Weltall isoliert wie die Osterinsel im Ozean. In einiger Hinsicht sei die Situation sogar noch viel schlimmer: »Wenn es nur einiger tausend Menschen mit Steinwerkzeugen und Muskelkraft bedurfte, um ihre Umwelt und damit auch ihre Gesellschaft zu zerstören, wie können dann mehrere Milliarden Menschen mit Metallwerkzeugen und Maschinen vermeiden, noch Schlimmeres anzurichten?« 2
Seit Beginn des 19. Jahrhunderts leben die Menschen der industrialisierten Welt in der Vorstellung, dass ihre Wirtschaft
wachsen und ihr Leben dadurch komfortabler und somit besser wird. Von wenigen Rückschlägen abgesehen, wurde dieses Versprechen lange erfüllt. Die Anzahl der Hungernden und Bitterarmen reduzierte sich von der Bevölkerungsmehrheit zu einer verschwindenden Minderheit. Gegenüber dem Jahr 1800 hat sich das BIP weltweit in etwa verachtzigfacht. Und die Weltbevölkerung wuchs von unter einer Milliarde auf annähernd sieben Milliarden Menschen. Doch was für eine Welt müsste das sein, die diesen Anstieg an Menschen, Gütern und Diensten noch weitere hundert Jahre aushielte? Woher sollen die Ressourcen für dieses Wachstum kommen? Wer repariert die ökologischen Schäden? Und wer möchte in den Megacitys mit 40 Millionen und mehr Menschen leben mit ihrer verschmutzten Luft und ihren Müllgebirgen?
Vor diesem Hintergrund gerät man in kopfschüttelndes Staunen, wenn eine deutsche Bundeskanzlerin erklärt, das wichtigste Ziel der Regierung für die nächsten vier Jahre sei Wachstum. 3 Ihre Berater in den Wirtschaftsinstituten, Universitäten und Konzernen fordern ein Wachstum von mindestens zwei, besser noch drei Prozent. Ansonsten, so der Verdacht, sei unser Lebensstandard nicht aufrechtzuerhalten, die Bürger würden unzufrieden, und die regierenden Parteien verlören Wähler.
Für Miegel ist eine solche Politik nicht weise und vernünftig, sondern ein
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