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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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kürzester Zeit den Portugiesen den Rang ab und erreichten ein spektakuläres Handelsmonopol.
    Der niederländische Staat unterstützte die Kompanie nach Kräften und stattete sie mit einer nie zuvor gekannten Autonomie aus. Die VOC führte selbständig Kriege und entzog sich fast jeglicher Kontrolle durch die Politik. In den zwei Jahrhunderten
ihres Bestehens trugen etwa 4700 Schiffe ihre Flagge. Der niederländische Staat avancierte zur mächtigsten Handelsnation der Welt. Und die politische Freiheit der Bürger zog Kaufleute, Wissenschaftler und Künstler aus ganz Europa in die Niederlande.
    Doch worin genau bestand das Geheimnis des Erfolgs? Die neue Form einer Aktiengesellschaft zeigte sich als das überlegene Geschäftsmodell, wenn es darum ging, ein waghalsiges Riesenprojekt anzugehen und neues Terrain zu erschließen. Mit beschränktem Risiko für den einzelnen Geschäftsmann und der geballten Finanzkraft der vielen wurden ungeahnte Geschäfte möglich und eine Monopolstellung erreicht, die bis dahin einzigartig war. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht manipulierte die Kompanie Regierungen, führte fortwährend Handelskriege und begann mit reinen Finanzgeschäften. Man kaufte günstiges Silber in Ostasien und veräußerte es gewinnbringend in Europa.
    Doch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann der Niedergang. Der vierte Seekrieg mit den Engländern, den stärksten Rivalen, ging verloren. Geschwächt aber war die Kompanie schon länger. Vergaan onder corruptie (Untergang durch Korruption) veralberten die Zeitgenossen den Namen der VOC. Die Gewinne brachen dramatisch ein, die Gesellschaft brauchte neue Kreditgeber und konnte sie nicht mehr finden. Im Jahr 1798 marschierten die Franzosen in die Niederlande ein und besiegelten den Untergang.
    Einer der wichtigsten Beobachter dieses Verfalls war Adam Smith. Da er die VOC erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts studierte, kam er zu einem harschen Urteil. Gesellschaften mit beschränkter Haftung, so Smith, seien ein Modell von vorgestern ohne Bedeutung in der Zukunft. In seinem Buch über den Wohlstand der Nationen lässt er an Aktiengesellschaften kein gutes Haar. Da die Aktionäre vom Geschäft nicht genug verstünden, begäben sie sich in die Hände der Direktoren. Diese wiederum benähmen sich fast immer leichtsinnig und verantwortungslos, da es ja nicht ihr eigenes Geld sei. »Daher müssen Nachlässigkeit
und Verschwendung in der Geschäftsführung einer solchen Gesellschaft stets mehr oder weniger vorherrschen.« 2
    Smiths Vermutungen bestätigten sich nicht. Aktiengesellschaften waren keine aussterbende Gattung, sondern ihnen gehörte die Zukunft. Sie entfesselten eine nie gekannte Wachstumsdynamik und waren die erfolgreichste Unternehmensform bei der Erschließung globaler Märkte. Doch ihr Erfolg hatte und hat einen zweifelhaften Charakter. Denn mit der Moral eines ehrbaren Kaufmanns haben Aktiengesellschaften kaum etwas zu tun. Wer in einer solchen Firma mit beschränkter Haftung sollte denn der ehrbare Kaufmann sein? Für Moral ist in einer AG niemand persönlich zuständig, allenfalls für die Bilanzen. Der US-amerikanische Schriftsteller Ambrose Bierce brachte dies schon Ende des 19. Jahrhunderts auf den Punkt: »Eine Aktiengesellschaft ist für die persönliche Bereicherung zuständig, aber nicht für die persönliche Verantwortung.«
    Die Idee der beschränkten Haftung wurde zur Leitidee der globalen Wirtschaft und ist es noch heute. Das imperialistische Europa, das sich in aller Welt Kolonien zusammenraubte, tat dies unter den Regeln der beschränkten Haftung. Für die Ausplünderung der Dritten Welt waren Handelsgesellschaften zuständig, die völlig außerhalb der Verantwortung blieben für die sozialen und ökologischen Folgen. Und noch die großen Banken, die die jüngste Finanzkrise verursachten, taten dies mit einer so beschränkten Haftung, dass nicht sie, sondern die Staaten für die Schäden und Schulden aufkommen müssen. Nicht anders ihre Manager und Vorstandsvorsitzenden, denen keine Entschuldigung über die Lippen kam, geschweige denn, dass sie mit ihren Privatvermögen hafteten.
    So gesehen war und ist die Finanzkrise tatsächlich eine moralische Krise. Nicht nur stellt sie die moralische Ausbildung und Statur unseres wirtschaftlichen Führungspersonals in Frage. Vielmehr zwingt sie zum Nachdenken darüber, wie ein Mehr an Verantwortung und Haftung in unser Wirtschaftssystem kommen
könnte. Der Natur unserer

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