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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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Toiletten.
    Die Erlöse des Biergartens gehen nicht nur in den Park, sondern auch in die vielen anderen nachbarschaftlichen Projekte des Vereins. Eine Seniorengruppe spielt, neben Klön und Kaffeeklatsch, Theater und kümmert sich um Kinder in der benachbarten Schule, indem sie den Kindern nachmittags vorliest. Ein Geschichtsarbeitskreis hat die hundertjährige Geschichte des Viertels dokumentiert und ein Buch herausgebracht. Ein Bouleverein ist entstanden und veranstaltet Turniere. Ein Aktionsbündnis kämpft gegen Vermieterwillkür und Wohnungsleerstand im Viertel. In den Räumen des Vereins treffen sich Arbeitskreise, Elterngruppen und ein Nachbarschaftshilfeprojekt.
    Wie war all dies möglich geworden? Wie konnten Bürger aus einem verwahrlosten Park eine nachbarschaftliche Stadtoase schaffen? Die erste Voraussetzung dafür war ohne Zweifel die dürftige finanzielle Situation der Stadt Köln. Ginge es der Stadt wirtschaftlich besser, so hätte sie sich vermutlich selbst um den
Platz gekümmert. Die Ohnmacht und Schlamperei der Kommune förderte damit ungewollt das soziale Engagement ihrer Bürger. Die zweite Voraussetzung hat etwas mit dem Geist von 1968 zu tun, der sich in nur wenigen deutschen Städten so heimisch fühlte wie in Köln. Die Stadt ist ein Tummelfeld von Bürgerinitiativen und Bürgerzentren in Selbstverwaltung, geboren aus dem Klima des gesellschaftlichen Umbruchs Ende der 1960er Jahre bis hin zur Umweltbewegung. Die dritte Voraussetzung war und sind engagierte und furchtlose Streiter, die in den zähen Verhandlungen mit der Stadt vorangehen und andere mitrissen und mitreißen. Von einem bestimmten Punkt an entwickelte sich am Rathenauplatz ein fast flächendeckendes Wir-Gefühl mit einer entsprechenden Gruppenmoral des »leben und leben lassen«. Kein abschließbares Tor grenzt jemanden aus dem Park aus, und auch die Obdachlosen finden hier noch immer ihre Bank. In der Sprache des Vereins heißt dies: »Köln als globales Weltdorf lebt durch seine Viertel und Plätze, und Weltbürger sind zuerst Viertelsbewohner.« 1
    Die Idee, sich im eigenen Interesse freiwillig zusammenzuschließen und sich nachbarschaftlich zu engagieren, findet sich in vielen Kulturen der Welt. Sie hat ihre Tradition im Liberalismus wie im Sozialismus und folgt keinem Schema von »rechts« oder »links«, konservativ oder progressiv. Die Bürger, die im Deutschland des 19. Jahrhunderts Botanische und Zoologische Gärten gründeten, Stiftungen, Museen, Armenhäuser und Sparkassen, waren zumeist keine Revoluzzer. Doch auch der Sozialismus brachte freiwillige Kooperativen hervor, zum Beispiel in der Idee des Subbotnik, dem russischen Wort für Sonnabend.
    Wer sich in der DDR am Samstag zum freiwilligen und unbezahlten Arbeitseinsatz traf, war oft wesentlich motivierter als bei seiner Alltagsschicht. Als Neunjähriger erlebte ich 1974 in Köthen, wie sich die Familienväter am Samstag trafen, um einen öffentlichen Weiher zu reinigen. All dies bleibt mir tief in Erinnerung, einschließlich des Grillfestes nach getaner Arbeit am
Abend. Selbst wenn die Teilnahme am Subbotnik von behördlicher Seite sorgsam beobachtet wurde und zu Vergünstigungen führen konnte, war dies eine der besseren Ideen des Realsozialismus. Mit dem Siechtum der DDR in den 1980er Jahren war allerdings auch mit den Subbotniks vielerorts Schluss. Die freiwilligen Kollektive gaben ihren sozialen und sozialistischen Geist auf. Immerhin besinnen sich einige ostdeutsche Städte inzwischen wieder der guten Tradition wie etwa in Potsdam, in Berlin-Weißensee oder im thüringischen Kappellendorf.
    Dass es uns oft glücklich und zufrieden macht, wenn wir die Dinge selbst in die Hand nehmen und uns für die Gemeinschaft einsetzen, kommt im Alltag meist selten ins Bewusstsein. Oft brauchen wir andere, die uns motivieren. Unsere Routinen und Gewohnheiten halten uns häufig in einem Käfig gefangen, obwohl wir ihn mit etwas Phantasie leicht verlassen können. Wie viele Abende vor dem Fernseher verschaffen uns die nachhaltige Befriedigung, die wir verspüren, wenn wir mit anderen Eltern einen Abenteuerspielplatz gebaut, mit Anwohnern den Park gereinigt, ein Nachbarschaftsfest organisiert haben? Die häufigere Zeit aber folgen wir kommerziell vorgezeichneten Glückswegen, die oft nur kurzfristig, mitunter gar nicht halten, was sie versprechen, und züchten damit unsere Unzufriedenheit.
    Das Eigentümliche daran ist, dass viele Menschen dies im Grunde wissen, aber trotzdem

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