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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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Verzichtsleistungen, die gar nicht mehr die Schwelle des Bewusstseins erreichen, weil sie zu den selbstverständlichen Hintergrundvoraussetzungen gehören, zu den vielen Dingen, die einfach so sind, wie sie sind«. 2
    Der freiwillige Verzicht auf Dinge, die wir mit größter Selbstverständlichkeit beanspruchen, fällt jedoch schwer. Nimmt man
uns etwas weg, so fällt uns plötzlich unsere Freiheit ein, die wir uns um nichts in der Welt beschneiden lassen wollen. Ein hübsches Beispiel dafür ist das öffentliche Rauchverbot in Innenräumen. Jahrzehntelang trauten sich die Politiker der westlichen Welt an dieses heikle Thema nicht heran. Erst als einige EU-Länder vorpreschten, trat der Dominoeffekt ein, freilich nicht ohne massive Proteste der Bevölkerung. Keine drei Jahre später können sich auch viele Raucher beim besten Willen nicht vorstellen, »dass ›früher‹ in Restaurants am Nebentisch geraucht wurde, während man gerade sein Menü serviert bekam«. 3
    Es gibt Wichtigeres als uneingeschränkte Freiheitsrechte; jedenfalls dann, wenn diese auf Kosten der Allgemeinheit gehen. Jeder Autofahrer, der durch die Stadt fährt, macht nicht nur von seinem Freiheitsrecht Gebrauch, er zwingt auch andere Menschen dazu, sich so achtsam zu verhalten, dass ihnen im Straßenverkehr nichts passiert. Vieles von dem, was auf den ersten Blick als Chance erscheint, wie etwa die automobile Gesellschaft, erweist sich langfristig als Zwang. Und umgekehrt wird oft nur als Zwang wahrgenommen, was eine Chance ist. Ein Baustopp für weitere Autobahnen zum Beispiel wird wohl kaum einen Menschen tatsächlich unglücklich machen, insofern der öffentliche Nahverkehr entsprechend ausgebaut ist. Wenn es keine weiteren Schnellstraßen mehr gibt, passen sich die Bürger ziemlich schnell schon an. Nicht anders dürfte es mit autofreien Stadtteilen und Innenstädten sein. Wer sie einmal real erlebt, wird darüber nachdenken, ob Gleiches nicht auch in seinem eigenen Viertel möglich ist.
    Doch nicht alle Umbauten der Gesellschaft sind eine Sache des Staates. Gerade im Sozialen werden wir es in den nächsten Jahrzehnten nicht mit mehr Fürsorge, sondern mit einem spürbaren Rückzug von Staat und öffentlicher Hand zu tun haben. Für einen Bürger, der in die soziale Symmetrie der Bundesrepublik hineingewachsen ist, ist das noch immer kaum vorstellbar. Seit Kindesbeinen sind wir daran gewöhnt, dass unser Sozialleben
vom Staat geregelt und bezahlt wird. Wofür zahlen wir schließlich Steuern und entrichten unsere Sozialabgaben? Dass wir unseren Stadtpark, unser Freibad, bald auch unseren Zoo und eines Tages vielleicht sogar unsere Schulen mehr und mehr selbst organisieren müssen, durch Spenden oder durch tatkräftige Hilfe, kommt vielen noch völlig utopisch vor. Der nüchterne Blick auf die Einnahmen der Kommunen, die Verschuldung der öffentlichen Hand von den Städten über die Länder zum Staat aber belehrt eines Schlechteren. Unsere sozialen Sicherungssysteme werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine zwanzig Jahre mehr bestehen. Ein Großteil der sozialen Wärme, der Fürsorge und der Pflege muss dann von uns selbst und unseren Kindern geleistet werden, nicht anders als noch in den 1950er Jahren.
    Die Stadt Köln, die ihren Park verkommen ließ, ist ein kleines Beispiel für das, was dann passieren wird. Entweder die allgemeine Entwicklung driftet ab in Unfrieden und Resignation, oder aber wir legen selbst Hand an. Positiv formuliert heißt dies: »Menschen können wieder unmittelbar aufeinander zugehen, Familienverbände vermehrt wirtschaftliche und soziale Funktionen übernehmen, Städte und Gemeinden sich verstärkt auf ihre Bürger stützen. Zwischenmenschliches und gesellschaftliches Solidarverhalten, das generationenlang von anonymen staatlichen Zahlungsströmen überflutet wurde, kann wieder an die Oberfläche treten.« 4 Negativ betrachtet muss man davon ausgehen, dass sich die Bürger am Rathenauplatz vielleicht wechselseitig durchbringen werden; die Bürger der sozialen Brennpunkte in den anonymen Wohnsilos wohl nicht.
    Mehr bürgerschaftliches Engagement ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es wird darum gehen, das »Ich im Wir« wiederzufinden, wie der Frankfurter Sozialphilosoph Axel Honneth (*1949) es schön formuliert hat, und damit auch das »Wir im Ich«. 5 Aber natürlich ist man damit weit davon entfernt, alle sozialen Probleme der Gegenwart und der Zukunft lösen zu können.
Mehr Einsatz und

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