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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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so gibt es ein nicht-kommerzialisierbares Grundrecht auf Gesundheitsfürsorge, soziale Alterssicherung, auf gute Kindergärten und Schulen für jeden. Auch Wasserversorgung, Müllbeseitigung und öffentlicher Nah- und Fernverkehr sind klassische Domänen der öffentlichen Hand. Die Funktion besteht grundsätzlich nicht darin, Gewinne zu erwirtschaften, sondern sie befriedigen Grundbedürfnisse und erfüllen damit Bürgerrechte.
    Was zur Daseinsvorsorge der Bürger einer Stadt gehört, darf nicht in die Hand von multinationalen Unternehmen gelangen. Schon als sie im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert gegründet und etabliert wurden, war es nicht der Sinn des
öffentlichen Nahverkehrs, der Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung, der Abwasserbeseitigung, der Müllabfuhr, der Bildungseinrichtungen und der Krankenhäuser, dass man damit reich werden sollte. Sie waren die Basis, auf der Wirtschaft und Stadtkultur sich entfalteten. Dass Teile dieser Grundversorgung zum Spielball werden konnten, folgt keiner wirtschaftlichen Vernunft. Vielmehr ist es Ausdruck von Panik und Not sowie einer gehörigen Portion Marktideologie.
    Ein besonders abschreckendes Beispiel für das, was passieren kann, wenn öffentliche Grundleistungen kommerzialisiert werden, ist die Privatisierung der Eisenbahn (British Rail) in Großbritannien. 5 1994 in rund 100 Unternehmen zerschlagen, verteuerte sich der Fahrpreis zum höchsten in Europa. Die Sicherheitsrisiken nahmen zu, es kam zu spektakulären Unfällen, weil die neuen Betreiber nicht bereit waren, in die Sicherheit zu investieren. Nach Jahren des Gewinns ging die Firma Railtrack, die das Schienennetz erstanden hatte, plötzlich in Konkurs - es standen umfassende Sanierungen der maroden Gleise, Signale, Tunnel und Brücken an. Und dem geprellten Staat blieb keine andere Möglichkeit als die Wiederverstaatlichung des defizitären Schienennetzes. Vor dem Hintergrund solch böser Possen erscheint es als ein Segen für die Allgemeinheit, dass der Börsengang der Deutschen Bahn in letzter Minute durch die Finanzkrise (vorerst) verhindert wurde.
    Erfahrungen wie jene des britischen Staates mit ihrer Privatisierung der Bahn kennen auch nahezu alle größeren deutschen Kommunen. »Public-Private-Partnerships« führen gemeinhin dazu, dass private Unternehmen sich die Filetstückchen herauspicken, während die Kommune vor allem das weiter betreibt, was sich nicht lohnt. Um sich diesem Raubbau an unserer Stadtkultur nicht weiter aussetzen zu müssen, brauchen unsere Kommunen viel Geld, ein neues Selbstbewusstsein und den Einsatz ihrer Bürger. »Rekommunalisierung« lautet der Trend in vielen Bereichen. Städte, die in den 1980er und 1990er Jahren im kollektiven
Wahn ihre Stadtwerke privatisierten oder ihre Abfallentsorgung, kämpfen heute zum Teil vehement darum, diese wieder zurückzugewinnen. Viele Serviceleistungen haben sich durch die Privatisierung stark verschlechtert, und die Stadt verlor zunehmend die Kontrolle über ihren regionalen Arbeitsmarkt. Statt geregelter Arbeitsverhältnisse fanden sich nun fast überall prekäre Zeitverträge, von denen Städte, Länder und Staat keine Steuereinkünfte bekommen.
    »Demokratientleerung« nennt der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer (*1945) diesen gefährlichen Prozess. 6 Um diese aufzuhalten, muss durchaus überlegt werden, welche der bestehenden Instanzen und Verwaltungseinheiten tatsächlich erhaltenswert sind. Wichtige Einheiten unserer Demokratie sind in allererster Linie diejenigen, mit denen wir tatsächlich emotional etwas verbinden. Köln, sagt der Kölner gerne, ist keine Stadt, sondern ein Gefühl; Nordrhein-Westfalen dagegen nicht. Gäbe es keine Bundesländer mehr, so ließe sich der emotionale Verlust vermutlich verschmerzen; jedenfalls dann, wenn es dazu beiträgt, die Kommunen flächendeckend zu entschulden und eine Renaissance einzuleiten.
    Die vielen positiven Folgen wären unübersehbar. Man denke nur an das komplizierte Gefilz von Kräften und Zuständigkeiten in der Bildungspolitik, das sich damit entwirren lassen könnte. Man denke an 16 Landtagswahlen, die damit überflüssig würden. Die Bundespolitik müsste sich nun nicht vor immer neuen »Superwahljahren« fürchten und sich mit diesem Vorwand davor drücken, überfällige Reformen einzuleiten. Und die Bürger könnten sich stattdessen politisch stärker um jene Belange kümmern, die sie tatsächlich interessieren: in ihrem Viertel, ihrem Stadtteil, ihrer

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