Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
Schwimmhallen.
»Natürlich«, sagt Albig, »ist es besser, 15 neue Erzieher einzustellen, als sich damit abzufinden.« Aber auch für die Pädagogen und Sozialarbeiter fehlt das Geld. Dabei ist Kiel noch lange nicht der schlimmste Fall. Die Stadt Duisburg drücken Schulden in Höhe von 1,4 Milliarden Euro. Jahr um Jahr kommen weitere 250 Millionen dazu. Alles noch zu überbieten: In Köln beträgt die Differenz aus Einnahmen und Ausgaben zwischen 400 und 500 Millionen Euro im Jahr.
In ihrer Not suchen die Kommunen nach Sparmöglichkeiten und finden Freibäder und Bibliotheken. Die Einsparungen sind minimal; ein hilfloser Versuch, mit der Luftpumpe die Windrichtung zu ändern. Solange der Verteilungsschlüssel nicht verändert wird, werden zahlreiche deutsche Städte über kurz oder lang bankrott sein. Gegenwärtig gehen 43 Prozent der Einnahmen aus der Einkommenssteuer an den Bund, 34 Prozent an die Länder und nur 13 Prozent an die Kommunen. Für Albig brauchen die Kommunen dringend eine Soforthilfe von mindestens sechs Milliarden Euro. Und geht es nach ihm, so entrichteten die Bürger ein Viertel ihrer Steuerlast in Zukunft gar nicht erst an den Bund, sondern direkt an ihre Stadt oder ihren Kreis.
»Stadt statt Staat« heißt Albigs Devise. Denn wenn die Städte verarmen, schwindet auch unsere Lebensqualität. Doch was passiert mit dem Bund und den Ländern, deren Einnahmen geringer werden? Einer der wichtigsten Vorschläge Albigs ist es, die Zahl der Bundesländer zu reduzieren, wenn nicht gar, die
Bundesländer abzuschaffen. Der Gedanke ist bedenkenswert: Wozu braucht der deutsche Mensch Nordrhein-Westfalen oder Sachsen-Anhalt? Sind sie uns wirklich so viele Milliarden wert, dass wir unsere Städte auf ihre Kosten verlottern lassen müssen? Allein die enormen Beträge, die die Bundesländer verbrauchen, nur um sich selbst zu verwalten, könnten eine neue Renaissance unserer Städte einleiten, ihre Schulden tilgen und die Kommunen aufblühen lassen.
Zur Erinnerung: Die Macht der Bundesländer in Deutschland ist nicht der Ausdruck eines Volkswillens oder einer übermäßigen Identifikation (Bayern vielleicht ausgenommen); sie ist das Ergebnis eines Krisenmanagements. Um die Ausbreitung eines erneuten Nationalsozialismus zu verhindern, gaben die Alliierten den Bundesländern die Macht über Kirche, Bildung, Medien und Polizei. Aus der damaligen Zeit heraus war das durchaus verständlich. Doch wozu braucht man im Jahr 2010 noch ein solches Krisen-Ventil? Ist es nicht höchste Zeit, unsere Bildungspolitik dem Staat zu überlassen und die Schulen den Kommunen, damit das ewige, unsägliche und unnötige Gezänk der Kultusminister ein Ende hat? Auch die Kirchenpolitik wäre beim Bund in guten Händen ebenso wie die Polizei und die Medienpolitik. Was übrig bliebe, wären Bundesländer als reine Verwaltungseinheiten für Denkmalschutz, Bergbau und so weiter - eine in allen Ländern nach gleichem Recht funktionierende Auskunfts- und Regelungsbehörde. Auch der Bundesrat erübrigte sich auf diese Weise, ersetzt durch einen »Regionalrat«, besetzt mit direkt vom Volk gewählten Landräten und Bürgermeistern.
Doch wie setzt man vernünftige Ideen wie diese durch? Wie soll man, ganz praktisch gesprochen, ein System reformieren, wenn man dabei erwartet, dass jemand sich selbst entmachtet?
Wo Macht umverteilt wird, gehen Menschen leer aus, die vorher etwas hatten: ein Amt, ein Gehalt, Privilegien. Aus diesem Grund sind demokratische Systeme in strukturellen Fragen nur sehr schwer reformierbar. Dabei wären Zusammenlegungen
oder Abschaffungen von Bundesländern juristisch betrachtet nicht wirklich schwer. Nach Artikel 29 Absatz 2 des Grundgesetzes können Teile des Bundesgebietes neu gegliedert werden, sofern ein Volksentscheid sie bestätigt. 1 Um solche Entscheidungen nicht zur Abstimmung über Folklore zu machen, bedarf es allerdings einer weitreichenden Informationskampagne. Es wäre wichtig, eine Stimmung zu erzeugen, die die Parteien unter Druck setzt. Wenn sie sich nicht mehr unterdrücken lässt, gewinnt derjenige, der sich den »Genossen Trend« als Erstes auf die Fahnen schreibt, um damit Wahlen zu gewinnen. Auch ein Bundespräsident, der den Mut, die Inspiration und die Passion besitzt, seine moralische Autorität ernsthaft in die politische Waagschale zu legen, könnte dem Wandel dienen und ihn hilfreich begleiten. So etwa plädierte der Bundespräsidentschaftsbewerber Joachim Gauck dafür, die
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