Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
notwendig seliger anfühlt als Nehmen - so fühlt es sich doch immerhin selig an.
Lebewesen, die bewusste Absichten haben und erkennen können, handeln nicht notgedrungen nach Kalkül. Menschen sind manchmal egoistisch und berechnend, aber sie sind auch oft unkalkuliert im Guten wie im Bösen. Es gibt einen zweckgebundenen und ebenso auch einen nicht-zweckgebundenen Altruismus. Gute Taten ohne Gegenleistung sind dabei nur selten eine Spekulation in die Zukunft oder gar eine moralische Verirrung. Sie erhalten ihren Lohn durch das gute Gefühl, gut zu sein.
Für Menschen ohne starke geistige oder psychische Beeinträchtigung gilt, dass sie sich gut fühlen, wenn sie Gutes tun. Dieses Gute muss sich im sozialen Sinn nicht lohnen. Wenn es sich lohnt, so lohnt es sich für uns selbst: für unser gutes Gefühl und mehr noch für das gute Bild, das wir von uns selbst haben möchten. Doch was ist das eigentlich, ein Bild von uns selbst?
• Das Gute & Ich. Wie unser Selbstbild uns verpflichtet
Das Gute & Ich
Wie unser Selbstbild uns verpflichtet
Ich sehe, dass nicht das falsch ist, was man tut, sondern das, was man wird.
Oscar Wilde
Ich habe keine Metzgerei von meinem Großvater geerbt, sondern die Liebe zu den Tieren.
Mein Opa war der Mensch, den ich als Kind am meisten liebte. Und obwohl er gewiss kein Heiliger war, war er mir heilig. Mein Großvater beschäftigte sich mit mir. Wenn ich als Kind meine Ferien in Hannover verbrachte, gingen wir jedes Mal in den Zoo. Von der bescheidenen Genossenschaftswohnung über den schmalen Siedlungsweg durch die Eilenriede führte der halbstündige Fußweg. Genauso hatte es mein Großvater schon mit meinem Vater gemacht, dreißig Jahre zuvor. Mein Großvater war kein Tiernarr. Vielleicht ging er alles in allem ganz gerne in den Zoo. Aber vielleicht ging er auch nur deshalb dorthin, weil er nicht gewusst hätte, was er mit seinem Enkel sonst hätte tun sollen. Der Zoo war nah. Der Weg ging durchs Grüne. Der Zoo war nicht teuer.
Seit meiner Kindheit sind Tiere für mich etwas Besonderes. So besonders, wie es mein Opa war, durch den ich mit ihnen in Berührung kam. Wenn ich an meinen Großvater denke, denke ich an den warm-feuchten Geruch von Antilopenheu und an tapsende Großkatzen. Und seit ich umfassender denken kann, beschäftigt mich die Frage, wie wir mit den Tieren umgehen sollen. Was können sie fühlen? Können sie denken? Haben sie eine Würde?
Hätte mir mein Großvater eine Metzgerei vererbt, hätten sich
mir diese Fragen vermutlich nie gestellt. Wäre er Landwirt gewesen, Legebatteriebetreiber oder Besitzer einer Pelztierfarm, wahrscheinlich auch nicht. Vielleicht würde ich heute den Geruch und die Textur von Pelzmänteln lieben statt der Nerze.
Die Achtung vor den Tieren ist für mich heute ein fester Wert. Ich halte es für richtig, Tiere zu achten, so wie ich es für richtig halte, dass die Erde eine Kugel oder Schnee weiß ist. Die Achtung vor den Tieren ist ein Teil meines Selbst- und Weltverständnisses. Mit anderen Worten: Sie entspricht meinem Selbstbild. Sie ist ein Teil von mir.
In diesem Kapitel geht es aber nicht um Tiere. Und auch nicht um den Austausch von Argumenten für oder gegen das Fleischessen, für oder gegen Tierversuche, Haustiere und Tiergärten. Es geht um die Frage, warum etwas für uns überhaupt einen Wert hat. Einen solchen Wert sogar, dass es ein Teil unseres Selbstbildes wird. Einen so großen Wert, dass wir unser Handeln danach ausrichten, weil es ansonsten unserem Selbstverständnis widerspräche. Einen Wert, der mitunter sogar unserem unmittelbaren Begehren oder unseren praktischen Interessen entgegensteht. Einen Wert, den vermutlich nur Menschen kennen.
Der Wert, den wir Dingen, Menschen, Situationen, Gelegenheiten, Stimmungen und Erinnerungen beimessen, verhindert, dass wir Genmaschinen sind. Er beeinflusst und korrigiert unsere Interessen, färbt unsere Wünsche, zügelt unser Begehren oder lenkt es in andere Bahnen. Es gibt Menschen, die vermutlich auch dann keine Banken überfallen würden, wenn sie dafür nicht bestraft würden. Es gibt Menschen, die zu anderen Menschen freundlich sind, die ihnen nie mehr begegnen werden. Davon gibt es viele. Darüber hinaus gibt es sogar noch Menschen, die sich für die Rechte der Tiere einsetzen, obwohl diese es ihnen niemals vergelten können. Es gibt Menschen, die unentgeltlich und liebevoll ältere Menschen pflegen, die weder blutsverwandt sind noch ihnen
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