Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
überleben. Die Schwächlinge fallen hingegen bekanntlich als Erste. Die Quintessenz ist klar: Krieg ist ein Mittel der Fortpflanzung und der genetischen Säuberung. Und das Mittel dazu ist die männliche Aggression. 6
So weit, so abenteuerlich. Und so ernüchternd für die Philosophen. Wo bleiben die Vernunft, das Selbstbild und die Reflexion auf das mehr oder weniger erfüllte Leben in dieser Betrachtungsweise? Alles, was wir im Anschluss an Aristoteles aufgefahren
haben, um auf das Gute im Menschen zu verweisen, kippt in den Orkus.
Zum großen Glück liegt die Wahrheit dieser Theorie von der menschlich-männlichen Kriegsnatur nur zwischen Buchdeckeln und nicht im wirklichen Leben. Denn müsste die Theorie nicht gerade andersherum lauten? Weil starke und aggressive Männer besonders nützlich für kriegerische Auseinandersetzungen sind, werden sie dort dringender benötigt als die netten und schwachen. Ihr Risiko zu sterben ist viel größer als das der anderen. Wenn aggressive junge Männer aufgrund ihrer Kriegstauglichkeit im Schnitt früher sterben, haben sie aber keine besseren, sondern schlechtere Chancen, ihr Erbgut lange und oft weiterzugeben. Je kriegerischer der Mann, umso geringer ist seine Reproduktionschance!
Tatsächlich gibt es keine Statistik darüber, wer in der Geschichte der Menschheit mehr Nachkommen zeugte: die aggressiven oder die netten Männer. Aber Anthropologen und Völkerkundler haben in Tausenden von Studien das reale Verhalten menschlicher Gesellschaften dokumentiert und untersucht. Und die meisten von ihnen können über die simplen biologischen Kriegsgründe nur schmunzeln. Etwa über die Idee, dass der Krieg gegen andere Gruppen oder Völker der Preis ist, um dessentwillen sich die aggressiven Männchen in ihren Horden und Clans untereinander vertragen, weil sich der Aggressionstrieb ja schließlich irgendwo ausleben muss. 7 Denn dass diese These etwas wild ist, wird deutlich, wenn man sie ernst nimmt. Dann müsste die Regel gelten: Je friedlicher Gesellschaften untereinander sind, umso kriegerischer treten sie - zumindest die Männer - gegenüber anderen Völkern und Kulturen auf. Und die Gesellschaften, die besonders viele Konflikte untereinander austragen, müssten besonders friedlich gegen andere sein. Sie toben sich ja zuhause aus.
Ein Konfliktforscher, der die Geschichte der Kriege in den letzten zwei Jahrtausenden untersuchte, schüttelte über diesen Unsinn nur den Kopf. So einfach kann man es sich nicht machen.
Sollte der Aggressionstrieb des Menschen eine Rolle für kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaften und Völkern spielen, so ist es gewiss nur eine unter vielen. Und wahrscheinlich nicht einmal eine besonders wichtige.
Nicht ohne Komik ist auch die Idee, dass Männer von Natur aus aggressiv sein müssen, Frauen dagegen nicht. Vielleicht sind Frauen im Schnitt weniger gewalttätig als Männer. Aber dass sie weniger aggressiv sind, ist eine kühne und nicht belegte Behauptung, die sich sanft anzweifeln lässt.
Ebenso spekulativ ist die Idee, dass Menschen im Laufe ihrer Entwicklung immer aggressiver geworden sind. Woher will man das wissen? Für eine solche These fehlt uns jede Vergleichsbasis. Von unseren beiden nächsten Verwandten ist der Schimpanse viel aggressiver als der Mensch. 8 Während es bei Menschenmännchen vorkommen soll, dass sich tausend von ihnen in einem Raum versammeln können, ohne dass es zu Wutausbrüchen und Toten kommt, wäre dergleichen mit Schimpansen niemals möglich. Das Blut flösse in Strömen. Die mit uns ebenso nahe verwandten Bonobos dagegen sind im Freiland ziemlich gewaltlos und lösen ihre Spannungen durch Sex. Es sind Hippieaffen, bei denen sich jeder mit jedem sexuell austoben kann. Auch das gilt nur für sehr wenige menschliche Gruppen und vermutlich für keine größere Gesellschaft.
Um vermeintlich zwingende Parallelen mit Tieren zu finden, muss man schon weit ausholen und Lebewesen heranziehen, mit denen wir kaum verwandt sind. Der Militärhistoriker Richard Gabriel, emeritierter Professor für Geschichte und Politik am U. S. Army War College und Professor für Gesellschaftswissenschaften und Ethik am Daniel Webster College in Nahua, New Hampshire, vertritt zum Beispiel die Ansicht, dass unser Verhalten nicht dem von Affen, sondern von Wölfen gleicht. Die Art, wie wir Nahrung teilen, unsere schwächeren Gruppenmitglieder integrieren, wie unsere Frauen sesshafter sind als unsere herumstreunenden Männer, sei
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