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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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Gesellschaften der Mangyan so wenig Gewalt und Aggression? Und warum haben sie, so weit die Überlieferung zurückreicht, nie Kriege geführt? Weder untereinander noch gegen andere Völker? Wenn es richtig ist, dass der Mensch ein Tier mit eingeschränkter Glücksfähigkeit ist, wenn wir über eine mehr oder weniger starke Aggressionsdynamik verfügen, leicht zu reizen sind und auch ein enormes Frustpotential besitzen - warum nicht die Mangyan?
    Menschen nicht nur im westlichen Kulturkreis verbringen viel Freizeit damit, Filme zu schauen, die ihren Kick aus Mord und Totschlag ziehen, aus Sex and Crime. 200 000 Spieler spielen zu jeder Minute des Tages gleichzeitig das Ego-Shooter-Ballerspiel Counter-Strike. Rund elf Millionen Spieler begeistern sich für World of Warcraft. Es wird mit Freude geschossen, virtuell gemordet, aufgespürt und getötet. 4 Und von den rund 7000 Gesellschaften
der Menschheit kennen die Völkerkundler nur etwa siebzig, die nie Krieg führen oder geführt haben. 5
    Müssen Menschen Krieg führen? Liegt der Krieg in unserer aggressiven Natur? Erinnern wir uns an den Mann auf der Leipziger Buchmesse (vgl. Wolf unter Wölfen. Das sogenannte Schlechte). An seine Theorie, dass unter der dünnen Tünche unserer Zivilisation das Raubtier lauert. Gewiss hätte er ein etwas zweifelhaftes Gefallen an der Sicht, dass Menschen von Natur aus zum Krieg verdammt sind. Diese Theorie gibt es tatsächlich. Sie keimte auf im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts als ein eiliges Fazit aus den Theorien Darwins und Huxleys. Und diese Ansicht hat heute erneut eine große Fangemeinde. Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeldt haben sie in Deutschland schon in den 1960er und 1970er Jahren popularisiert. Und angelsächsische Biophilosophen sorgen damit noch immer für Schlagzeilen in Zeitungen und Zeitschriften.
    Ihr Gedankengang geht etwa so: Von Natur aus drängt es jeden Menschen dazu, seine Gene weiterzugeben. Oft genügen dafür friedliche Mittel. Vor allem dann, wenn genügend fruchtbare Weibchen für alle Männchen bereitstehen. Doch in schwierigen Zeiten, bei knappen Ressourcen oder starken Bedrohungen, benötigt man dafür schon etwas Gewalt. Man muss um die Weibchen kämpfen, notfalls auch gegen Konkurrenten von außen. In einer solchen Lage begünstigte die Natur die Männer mit einem starken Aggressionstrieb. Im Gegensatz zu den Schlaffis kamen sie besser zum Schuss und setzten sich durch. Das aggressivere Erbgut überlebte, das friedliche blieb auf der Strecke. Auf diese Weise wurde der Mensch, zumindest die Männchen, ziemlich aggressiv.
    Doch zu viel Aggression können sich menschliche Horden auch nicht leisten. Immerhin müssen Menschen selbst nach Ansicht von Soziobiologen miteinander kooperieren, bei der Jagd, bei der Nahrungssuche und bei der Kinderaufzucht. Viel zu oft müssen die Männer ihre Aggressionen dabei unterdrücken. Und
wo schlägt sich der Druck des Aggressionsüberschusses nieder? Richtig - im Kampf gegen andere Horden. Es kommt zum Krieg, eine wunderbare Sache. Denn nun können die Männer nicht nur Druck ablassen, sondern auch zusätzliche Weibchen erobern und befruchten. Da der Mensch von Natur aus zudem territorial veranlagt ist, drängte es ihn zur Sesshaftigkeit, begünstigt durch den Ackerbau. Die Kriege nahmen nun weiter zu. Jetzt konnte man nämlich nicht mehr ausweichen, wenn man angegriffen wurde. Und was ein kriegerischer Akt, eine Provokation war, war klar geregelt: der Übergriff auf ein fremdes Territorium. Der moderne Krieg nahm seinen Anfang …
    In dieser Sicht sind sich fast alle Soziobiologen einig. Eine völlig plausible Geschichte. Es gibt allerdings ein paar unterschiedliche Nuancen in der Frage, ob der Aggressionstrieb wichtiger ist oder das Streuen der Gene durch Frauenraub. Und es gibt ein paar heikle Fragen. Warum zum Beispiel opfern sich Krieger in der Schlacht für ihre Horden oder Völker auf? Ihren Genen nützt dies beim besten Willen nichts. Aber für solche Kniffeligkeiten steht ja noch Hamiltons Regel zur Verfügung. Danach geht es schließlich nicht nur um meine Gene, sondern auch um die Gene meiner Verwandten. Wahre Helden müssten demnach immer viele Geschwister oder viele Kinder haben, eine These, die noch zur Überprüfung aussteht. Und wenn mein Tod schon nicht meinen genetisch Verwandten dient, so hilft er meiner Horde zumindest darin, wieder biologisch fitter zu werden. Denn wäre ich ein tolles starkes Männchen, so würde ich den Krieg

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