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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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typisches Wolfsverhalten. 9

    Entgegen aller Spekulation von Biologen haben die Frühgeschichtler und Völkerkundler heute keinen wirklich sicheren Beleg, dass unsere Vorfahren vor einigen zehntausend Jahren tatsächlich Kriege geführt haben. Zwar besteht kein Zweifel daran, dass es Gewalt gab und auch Totschlag. Aber all dies macht noch keinen Krieg. Pjotr Kropotkin, der friedliche Anarchist, darf sich also freuen.
    In seiner Wohnung in der Altstadt von Zürich, zwischen zehntausend Büchern, erklärt Jürg Helbling, warum das so ist. Ein hochgewachsener, schlanker Mann in Schwarz gekleidet und mit silbergrauem Haar. Helbling ist mehr als ein Ethnologe. Wenn er über die Biologie des menschlichen Verhaltens redet, weiß er genau, wovon er spricht. Und ob Soziologie oder Philosophie - mit scharfem Blick analysiert er die Gesellschaft der Gegenwart so wie jene der Mangyan. Nach dreißig Jahren Forschung ist Helbling sicher, »dass interne Kriege in Wildbeutergesellschaften nicht vorkommen. … Die Kriege, in die Wildbeuter allenfalls verwickelt sein können, sind externe, defensive Kriege gegen Gruppen nicht nur einer anderen Ethnie, sondern auch eines anderen Gesellschaftstyps.« 10
    Der Grund dafür ist recht schlicht. Um einen Krieg vom Zaum zu brechen - der immer eine riskante und schreckliche Sache ist -, braucht man schon sehr gute Gründe. Wenn Helbling erklärt, verengt er die Augen und redet mit beiden Händen, dreht und wendet sie, öffnet und schließt die Finger, als verfertige er gerade eine Präzisionsarbeit. Die nomadische Lebensweise von Wildbeutern, meißelt er heraus, mache den Krieg »unnötig«, da man sich ohne wirtschaftliche Nachteile gut aus dem Weg gehen kann. 11 Und das war in früheren Zeiten vermutlich ebenso wie heute. Auch von der Idee, dass es beim Krieg um das Streuen der Gene gehe, bleibt nicht viel übrig. Viele Wildbeutergesellschaften haben einen so starken friedlichen Austausch von Männern und Frauen, dass solche Mittel vermutlich kaum jemals nötig waren.
    Wenn die Theorie vom Genaustausch als biologischer Kriegsgrund
nicht stimmt, erspart uns dies viele lustige Erklärungen auch für moderne Kriege. Der Sinn des Irakkrieges ist also nicht der Fortpflanzungserfolg von US-amerikanischen Soldaten. Und auch die Bundeswehr ist nicht in Afghanistan, um sich zu vermehren. Wie wir nun wissen, gilt dies nicht nur für die Logik und Motivation moderner Kriege. Auch bei Wildbeutergesellschaften gibt es so gut wie keinen Streit und keine Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen, um Frauen zu erobern oder zu befruchten. Die Theorie, dass Kriege letztlich dazu dienen, damit eine Gruppe, ein Stamm oder eine Gesellschaft genetisch fitter werden, ist haltlos.
    Die Soziobiologie kann den Krieg zwischen Bevölkerungsgruppen nicht erklären. Fast immer setzen sie den Krieg als ein natürliches Phänomen bei Menschen bereits voraus. Weil Menschen kriegerisch veranlagt seien, setzten sich die besten Krieger durch. Doch dass Menschen »kriegerisch veranlagt« sind, ist eine Spekulation. Gewiss, nahezu alle Menschen sind zu Aggressionen gegen andere fähig und viele Menschen auch zur Gewalt. Aber eine Veranlagung zum Krieg ist das noch lange nicht. Krieg - und das ist die Pointe - ist nämlich nicht einfach die Ausweitung von Aggression mit stärkeren Mitteln!
    Wer aggressiv ist, ist nicht zwangsläufig gewalttätig. Viele Menschen richten ihre Aggressionen gegen sich selbst und werden zum Beispiel depressiv. Die meisten Aggressionen werden zudem verdeckt herausgelassen, durch böse Bemerkungen, Hinterlist und übles Gerede. Umgekehrt geht nicht jede gewalttätige Handlung mit Aggressionen einher. Auch Angst und Notwehrreaktionen können mich gewalttätig machen, ohne dass ich dafür wütend sein muss. Überdies richtet sich der größte Teil unserer Aggressionen gegen Menschen in unserem unmittelbaren Umfeld und nicht gegen andere Gesellschaften oder Völker. Allein aus einem Aggressionstrieb heraus ließe sich wohl auch kaum ein richtiger Krieg führen. Denn dazu bedarf es ja der kühlen Planung, der nüchternen Kalkulation und Strategie, der besonnenen Organisation, der Disziplin und Kooperation.

    Um einen Krieg zu führen, muss man seine Feinde nicht einmal hassen. Erst recht nicht bei den bezahlten Söldnerheeren des Abendlandes: Der Hass spielt mitunter gar keine Rolle! Und der Erste Weltkrieg, der von einer großen Kriegsbegeisterung der Soldaten getragen war, war nicht schrecklicher als der

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