Die Kunst, nicht abzustumpfen
Kortex für wesentlich; dort sind Einfühlungsvermögen, Mitleid und Toleranz beheimatet. Dieser Teil des menschlichen Gehirns entwickelte sich zuletzt und arbeitet deutlich langsamer als das Stammhirn. So benötigt der Mensch etwa sechs bis acht Sekunden, um sozial berührende Eindrücke zu verarbeiten – wesentlich länger als das Stammhirn mit seinen schnellen, instinktiven Reaktionen. »Das heißt, schlimme Nachrichten, die in rasanter Folge auf uns einprasseln, erreichen nicht jenen Bereich des Gehirns, in dem Mitgefühl entsteht« (Braun 2010, 16). Um ethisch nicht abzustumpfen sollten wir uns daher, so die Schlussfolgerung von Gehirnforschern wie Dilip Jeste und Antonio Damasio, regelmäßig vom »medialen Trommelfeuer« zurückziehen. Wir müssen den Umgang mit bedrängenden Nachrichten über die Welt verlangsamen.
Dies empfiehlt sich besonders für uns Deutschen. Denn aufgrund unserer traumatischen Geschichte stehen wir in Gefahr, auf Katastrophenmeldungen in besonders heftiger Weise zu reagieren, wie die Trauma-Therapeutin Luise Reddemann im Rahmen der IGT-Tagung »Übergänge – Krisen – Visionen«
2010 äußerte. Ein Beispiel ist der Wechsel zum Jahr 2000, der in vielen Bürgern Katastrophenängste weckte.
Nachrichten sind immer auch »gemacht«. Sie sind eine Ware, die auf ihre emotionalen Wirkungen hin ausgewählt und medial inszeniert werden. Etwa durch emotionalisierende Hintergrundmusik, z. B. düstere, bedrohliche Töne (Marks 2011c). Daher ist es hilfreich, Medienberichte kritisch zu hinterfragen und zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden. Denn »sich achtlos alles ›hineinziehen‹, was die Medien uns glauben machen wollen und an katastrophalen Sensationsbildern liefern« – dies kann, so Brigitte Romankiewicz (2010, 20) niederdrücken und mutlos machen.
Nichtsdestotrotz gibt es jedoch Nachrichten, die unvermeidbar mit heftigen Emotionen verknüpft sind. Für diese Nachrichten benötigen wir andere Formen der Verarbeitung.
Über den Umgang mit schmerzhaften Nachrichten
Wer einmal Gärungsprozesse beobachtet hat, der wird sich an den unappetitlichen Anblick und die unangenehmen Gerüche gewiss erinnern: Es stinkt. Ähnlich ist es mit der Verarbeitung der Negativmeldungen aus aller Welt: Dies sind eben nicht einfach nur Informationen, die (wie auf einer Computer-Festplatte) neutral als Bits gespeichert werden. Häufig wird ja das menschliche Gehirn mit einem Computer verglichen (Randall 2007); nie war dieser Vergleich irreführender als in Bezug auf das Thema Hoffnung.
Tatsächlich sind die täglichen Krisenmeldungen mit unangenehmen, quälenden Emotionen verbunden, wie schon erwähnt wurde: mit Mitgefühl, Entsetzen, Wut, Angst, Trauer, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Schuld, Scham und vielem mehr. Wer kennt nicht die Erfahrung, Fernseh-Nachrichten zu sehen und dabei vor Empörung aus der Haut fahren zu wollen? »Diese Politik macht mich ganz krank!« möchten wir ausrufen,
oder: »Das kotzt mich an!« Solche Reaktionen zeigen, dass hier heftige und »unappetitliche« Emotionen angerührt wurden. Diese werden jedoch häufig durch eine nachfolgende Nachricht, einen Fernsehfilm oder durch Anforderungen des Alltags wieder weggedrückt. Dadurch wird jedoch die Einheit von Bewusstsein und Handeln auseinandergerissen; dies hat Konsequenzen (dazu später mehr auf Seite 104).
Ein hoffnungsvoller Umgang mit Nachrichten setzt voraus, dass die damit verbunden Emotionen nicht unterdrückt, sondern – zumindest punktuell – angenommen und bewusst gemacht werden. Dieser Prozess ist vergleichbar mit der Trauerarbeit. Im Unterschied zu dieser bezieht er sich jedoch nicht auf den Schmerz über den Tod einer geliebten Einzelperson, sondern auf den Schmerz über die Welt. Die Tiefenökologin Joanna Macy hat hierzu eine Pädagogik entwickelt und in einer großen Zahl von Seminaren und Workshops in allen Teilen der Welt durchgeführt. Bei dieser »Verzweiflungsarbeit« (ich ziehe die Bezeichnung »Hoffnungsarbeit« vor) geht es im Kern darum, »einander zu helfen, diese oft furchterweckenden Informationen auch auf der Gefühlsebene zu verarbeiten«, so Macy (1988, 10).
Nachfolgend möchte ich den Grundgedanken dieser Arbeit an einem Beispiel illustrieren. 3 Die folgende Übung wurde Mitte der 1980er-Jahre, während des atomaren Wettrüstens der beiden Supermächte, von Friedensaktivisten entwickelt. Sie veranschaulicht das Ausmaß der Zerstörungskräfte, die in den
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