Die Kunst, nicht abzustumpfen
unserem Weg in die Zukunft machen. So hinterfragt z. B. Wolfgang Kessler (2011b, 10) die »Immer mehr«-Haltung der westlichen Überflussgesellschaften: »Das Ende der billigen Energie fordert diesen Materialismus heraus. Ständig Neues zu produzieren, Altes schnell wegzuwerfen, irgendwo auf der Welt spottbillig arbeiten zu lassen und die Erzeugnisse zu uns zu transportieren – all das wird künftig teurer. Der materielle Wohlstand wird bei Weitem nicht mehr derart wachsen wie in den vergangenen Jahrzehnten, wenn überhaupt. (…) Wenn das ›Immer mehr‹ als Ziel des Lebens ausfällt, was tritt dann an dessen Stelle?«
Es liegt nahe, die Alternative zum »Immer mehr« in einem »Weniger« zu sehen. Folgerichtig erschöpfen sich viele Beiträge zur Energiekrise darin, von den Menschen Konsumverzicht einzufordern. So etwa der Erzbischof Ludwig Schick (zit. in: Kessler 2011b, 10): »Wir brauchen größere Bescheidenheit in allem, was wir tun, in allem, was wir verbrauchen.«
Verzicht ist jedoch ein Negativ-Ziel und es erscheint mir zweifelhaft, wie ein solches für Milliarden von Menschen anziehend gemacht werden könnte. Zumal Verzicht in der westlichen Welt bereits seit Jahrhunderten propagiert wird: Im Grunde steht diese Haltung genau am Anfang der Entwicklung des Kapitalismus, wie Max Weber (2000) in seiner Analyse der protestantischen Ethik belegt. Eben diese asketische Verzichts-und Arbeitsethik hat die gierige Unersättlichkeit des »Immer
mehr« ja erst hervorgerufen (ich komme auf Seite 101 darauf zurück); noch mehr Verzicht wird diese Unersättlichkeit daher kaum überwinden können.
Tatsächlich bewegen sich beide Haltungen – »immer mehr« wie auch »immer weniger« – auf derselben Ebene von Quantitäten . Die echte Alternative besteht vielmehr in einer veränderten Qualität . So könnte an die Stelle des Lebenszieles »Immer mehr konsumieren« ein anderes Verhältnis zum Leben treten: Sein statt Haben (Fromm 1991). Nicht zunehmende Anhäufung von Waren, sondern ein qualitativ verändertes Leben: reicher an Werten und Zielen, so der Philosoph Arne Naess. »Langsamer – weniger – besser – schöner«, wie der Künstler und Soziologe Hans Glauber vorschlägt. Schon 1973 veröffentlichte der Ökonom Ernst Friedrich Schumacher (deutsch: 1977) seine Vision eines Wirtschaftssystems, das sich an Sinn und dem »menschlichen Maß« orientiert: »Small is beautiful«. Die Umweltorganisation BUND wirbt mit dem Slogan »gut leben statt viel haben«.
In einem sauberen Fluss zu baden, in einer duftenden Blumenwiese zu liegen, Stille zu genießen, saubere Luft einzuatmen, reines Wasser zu trinken: dies alles bedeutet einen Gewinn an Lebensfreude, den viele Menschen noch nie erlebt haben. Dieser Gewinn sollte bei den Debatten über die Zukunft der Wirtschaft in den Vordergrund gestellt werden, so die Umwelt-Psychologin Sigrun Preuss (1991).
Vorbild könnte etwa der Himalaya-Staat Bhutan sein, der den Erfolg seiner Politik nicht am Bruttosozialprodukt, sondern am Bruttosozialglück bemisst (Grober 2010, 277f.): am psychischen Wohlbefinden der Menschen, d. h. daran, ob sie in vertrauensvollen, emotional unterstützenden Beziehungen leben, ob sie freien Zugang zu Gesundheit und Erziehung haben, ob sie mit Wohnungen versorgt sind, ob die Kultur bewahrt und die ökologische Vielfalt gewahrt sind und dergleichen (Dasho 2011, 14).
Gewiss müssen wir Lebensstile einüben, die mit geringerem
Verbrauch von Ressourcen auskommen; gewisse Wirtschaftsbereiche werden schrumpfen oder absterben. Insofern sind internationale Bewegungen sinnvoll, die »Postwachstum« (englisch: »degrowth«, französisch: »décroissance«) zum Ziel haben. Wesentlich erscheint mir jedoch, die damit verbundenen Chancen zu einem anderen Leben herauszustellen: eine Verkürzung von Erwerbsarbeitszeiten, insbesondere entfremdeter Arbeiten, und die Gewinnung einer seelischen Gesundheit, die nur durch die Vereinfachung des Lebens zu erlangen ist, so Fulbert Steffensky (2009, 34). Der Theologe sieht unsere Gesellschaft von einem Allmachtsrausch erfasst: »Mehr, höher, schneller sollte alles sein und gehen.« Wir glauben, alles – die ganze Schöpfung, selbst die Zukunft, habe zu unserer Verfügung zu stehen. Die Alternative besteht darin, dass wir »lernen, dass die größere Lebensintensität und Lebenssüße nicht in der Omnipotenz der Welt gegenüber liegt, sondern in der Geschwisterlichkeit mit ihr.« (Steffensky 2009, 34)
Auch der
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