Die Kunst, nicht abzustumpfen
Ökonom Nico Paech (zit. in: Kern 2011, 23) sieht in der notwendigen Reduzierung des Konsums etwas Positives, insofern die Menschen wieder »Macht über ihr Dasein, mehr Zeitwohlstand« gewinnen. Kern (2011, 23) spricht von einem »Exodus aus der Wachstumsökonomie«, der mit einem »tiefgreifenden kulturellen Wandel einhergehen« müsse. Einige Aspekte eines qualitativ veränderten Lebens wurden an verschiedenen Stellen dieses Buches schon genannt: Sinn, Würde, Stille und Entschleunigung. Somit stehen wir mit einer Haltung, die ich hier als Hoffnung bezeichne, (noch einmal in den Worten von Juan Ramon Jimenez) »schon im neuen Leben«.
6. »muss«
Die Mutter der Ausschweifung ist nicht die Freude, sondern die Freudlosigkeit.
Friedrich Nietzsche
Das Wort »müssen« lässt an eine Pflichtaufgabe denken. Dies klingt so, als sei es eine Qual und schwere Last, sich für Frieden, Gerechtigkeit und Naturbewahrung engagieren zu »sollen« oder zu »müssen«. Tatsächlich habe ich nicht wenige Demonstrationszüge erlebt, die von einer bleiernen, depressiven Schwere gekennzeichnet waren.
Aber auch Aktionen voller Lebendigkeit, Witz und Lebensfreude; wie etwa die gewaltfreie Blockade des US-Atomwaffenlagers bei Neu-Ulm, Anfang der 1980er-Jahre, die durch das Hinzukommen einer Samba-Trommlergruppe zu einer herrlichen Umtanzung des Militärgeländes wurde. So stelle ich mir unseren Auszug aus dem »Immer-mehr«-Land vor: nicht als trister Protestmarsch, sondern als rauschendes Fest. In Anlehnung an einen Satz, der der US-amerikanischen Friedensaktivistin und Anarchistin Emma Goldman zugeschrieben wird: »An einer Revolution, bei der ich tanzen darf, möchte ich teilnehmen.« Wohlgemerkt: »möchten«, nicht »müssen«!
Schon heute erinnern manche Großdemonstrationen an Karnevals-Umzüge: mit einer Fülle bunter Fahnen und Schilder, Wagen mit riesigen Pappmaché-Figuren, Posaunengruppen, Trommlern, Menschen in fantasievollen Kostümen und Glöckchen, Clowns mit Perücken und roten Nasen und vielem mehr. Vielleicht knüpfen solche Veranstaltungen an die ursprüngliche Bedeutung von Fastnacht, Fasching bzw. Karneval an (mehr jedenfalls als die etablierten, weitgehend alkoholisiert-entpolitisierten Veranstaltungen während der »närrischen Tage«): eine Möglichkeit für die Menschen, ihre politisch bedeutsamen Emotionen zum Ausdruck zu bringen.
Ursprünglich war das wohl vor allem die Sehnsucht nach Gleichheit und freier Meinungsäußerung, die während dieser Tage vorübergehend – Ausnahme statt Regel – ausgelebt werden durfte.
Darf politisches Engagement auch Freude machen? Hinter dieser Frage stehen vermutlich tradierte Vorstellungen, wonach die Ernsthaftigkeit eines Menschen an der Griesgrämigkeit seines Ausdrucks zu ermessen sei. Dies dürften Spätfolgen der Bilder sein, die über Jahrhunderte in das kollektive Gedächtnis der westlichen Menschen eingebrannt wurden: die gequälten Gesichtsausdrücke von christlichen Märtyrern. Infolge dieser Tradition gibt es politische Aktionen, die versuchen, bei den Menschen Angst, Druck oder Schuldgefühle auszulösen (in diese Richtung gehen auch Begriffe wie »Umweltsünder«). Damit dürften jedoch langfristig kaum positive Verhaltensänderungen zu erzielen sein (Seitz-Weinzierl 1994, 29).
Seit Augustinus wird den Christen gepredigt, Freude als Sünde zu verachten und zu bekämpfen. Auf diesem Grundprinzip baute die protestantisch-kapitalistische Arbeitsethik auf, indem sie Freude ersetzte durch Arbeit und Gelderwerb, beides als Selbstzweck. Mit der Trennung zwischen Freude und Arbeit wurde der Weg bereitet für entfremdete Arbeit und damit der Entfremdung des Arbeitenden von seiner Tätigkeit, von seinem Produkt, von sich selbst und von seinen Mitmenschen (Jaeggi 2005, 29).
Die Trennung zwischen Freude und Arbeit ist heute so weit verbreitet, dass nur 12 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland motiviert bei ihrer Arbeit sind (IFAK 2008). Entfremdet und lustlos zu arbeiten ist zur Selbstverständlichkeit geworden – so dass es vielleicht merkwürdig anmuten mag, dass politische Arbeit auch Freude machen könnte. Ich halte dies jedoch für unabdingbar.
Wie Max Weber (2000, 15) zeigt, besteht die protestantisch-kapitalistische Arbeitsethik wesentlich im »Erwerb von Geld
und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens, so gänzlich aller eudämonistischen [glücksbetonten] oder gar hedonistischen Gesichtspunkte
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