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Die Kunst, nicht abzustumpfen

Die Kunst, nicht abzustumpfen

Titel: Die Kunst, nicht abzustumpfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Marks
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Gottes Güte erfüllt all seine Kreaturen und alle seine gesegneten Werke und fließt endlos in ihnen über.« (zit. in Fox 1991, 53). Für Matthew Fox (1991, 63) ist Freude »eine der tiefsten geistigen Erfahrungen unseres Lebens. Begeisterung, Ekstase ist eine Gotteserfahrung.«
    Einige der ekstatischsten Erfahrungen meines Lebens habe ich während fantasievoll-gewaltfreien Aktionen gemacht. Fulbert Steffensky (2010, 53) schreibt: »Wer hofft, ist nicht nur ein ewig Morgiger, der erst Brot essen, Wein trinken und tanzen will, wenn die gute Zukunft da ist. Er feiert im Vorschein. Wir sind auch Heutige, die das Heil herbeitanzen und herbeisingen.«
    Wie der Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi (1995) entdeckt hat, kann sich der von ihm als »Flow« bezeichnete Glückszustand genau dann ereignen, wenn Bewusstsein und Handeln zusammenfließen. Häufig sind beide getrennt; vor allem dann, wenn durch Informationen zwar heftige Emotionen über den Zustand der Welt geweckt werden, die jedoch abgetrennt und nicht in Handeln umgesetzt werden (vgl. Seite 53). Sobald jedoch die Verbindung zwischen Information, Emotion und Handeln wiederhergestellt wird, kann sich diese besondere Form des Glücks einstellen, die es bei gelungenen politischen Aktionen zu erleben gibt.
    Zusammenfassend wird also mit der Frage nach der Freude in der politischen Arbeit ein grundlegendes Problem der modernen Gesellschaft berührt. Gegenwärtig wird ja die so
genannte »Krise der Arbeit« fast ausschließlich als quantitatives Problem debattiert: als Mangel an Arbeitsplätzen bzw. als Frage nach Lohn und deren Besteuerung (FDP-Slogan: »Arbeit muss sich wieder lohnen«). Die eigentliche Krise besteht jedoch, viel grundlegender, in der Qualität von Arbeit: in der Entfremdung, die sie bis heute für viele Berufstätige mit sich bringt, mit der Konsequenz, dass viele Menschen sich seelisch und körperlich kaputt machen.
    So betrachtet, ist eine nur-quantitative Forderung nach »mehr Arbeitsplätzen« unzureichend; sie ist zu ergänzen um das Bestreben nach einer neuen Qualität: nach Nicht-entfremdeter-Arbeit. Die technischen Voraussetzungen dafür sind durch die Automatisierung von Produktionsabläufen zu großen Teilen geschaffen. Der Weg ist das Ziel: Mit einem politischen, sozialen oder ökologischen Engagement, das Freude macht, ist auch etwas vom »neuen Leben«, ein Stück Zukunft der Arbeit, in die Gegenwart geholt: nicht-entfremdete, sinnvolle Arbeit. Arbeit, die sich lohnt.

7. »man«
    Wer ist dieses geheimnisvolle Wesen »man«, das »etwas tun« muss? Das Wörtchen »man« bezeichnet zum einen gesellschaftliche Umgangsformen und Konventionen, etwa wenn man sagt: »Sonntags geht man in die Kirche.« oder »Man spricht nicht mit vollem Mund.« Zum anderen steht »man« auch allgemein und anonym für »die Leute«, somit für: irgendjemanden, jeden, alle und damit letztlich für: niemanden.
    Als »man« verschmilzt die betreffende Person mit den Normen und Erwartungen der Gruppe. Von diesen abzuweichen, wäre mit existenziellen Ängsten verbunden. Durch die Anpassung aber wird das Ich, so der Psychoanalytiker Paul Parin (1978, 117f.), »entlastet. Man ist nicht mehr allein, Ängsten ausgesetzt, und die Abwehr gegen frühkindliche Wünsche nach Geborgenheit und Zugehörigkeit ist entspannt. Man ist Rollenträger, nimmt teil an einer Institution, einer Gruppe. Was an Autonomie verlorenging, wird wettgemacht durch neue Arten von Befriedigung, die die Rolle bietet.« Wie Horst-Eberhard Richter in seinem Buch »Bedenken gegen Anpassung« (1995, 142) schreibt, geben die Rollenstereotype z. B. vor, »wie ›man‹ sich als Frau zu verhalten habe«. Sie geben auch vor, wie »man« als Mann aufzutreten habe, um nicht als »unmännlich« beschämt zu werden.
    Meine Skepsis gegenüber dem »man« wurde auch durch die Interviews genährt, die wir im Rahmen des Forschungsprojekts ›Geschichte und Erinnerung‹ mit Anhängern des Nationalsozialismus führten (Marks 2011a). Auffallend häufig begründeten die Senior/-innen ihr damaliges Engagement für Hitler und das »Dritte Reich« in »man«-Sätzen – und reagierten dann überrascht, wenn sie nach ihrer persönlichen Verantwortung gefragt wurden.
    Heute wird von einem wohlangepassten Bundesbürger erwartet, dass »man« arbeitet, konsumiert und seinen privaten
Wohlstand, wie eine Festung, gegenüber dem Rest der Menschheit abschottet. Gerade in den heutigen Krisenzeiten kommt es jedoch notwendig

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