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Die Kunst, nicht abzustumpfen

Die Kunst, nicht abzustumpfen

Titel: Die Kunst, nicht abzustumpfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Marks
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seelischen Erschütterungen verbunden sein; dies mag durch die folgende literarische Beschreibung illustriert werden:
    In der Novelle »Flächenland« von Edwin Abbott sind die Welt und ihre Bewohner flach, zweidimensional. Eines Tages wird der Held der Geschichte, das Quadrat, von einem Erlebnis aufgerüttelt, das sein Leben für immer verändert: »Eine unaussprechliche Angst überfiel mich. Es wurde dunkel; dann kam ein schwindelerregendes Gefühl des Sehens, das nicht wie normale Sicht war und bei dem mir übel wurde – ich sah eine Linie, die keine Linie war; Raum, der nicht Raum war; ich war ich selbst und doch nicht ich selbst. Als ich meine Stimme wiederfand, schrie ich laut in unerträglichem Schmerz: ›Dies ist der Wahnsinn, oder es ist die Hölle.‹ – ›Weder das eine noch das andere‹, erwiderte ruhig die Stimme der Kugel, ›es ist das Wissen. Es ist die Dreidimensionalität – öffne dein Auge noch einmal und versuche, mit stetigem Blick zu schauen.‹
    Ich schaute, und siehe! Eine neue Welt! Vor mir stand, sichtbar verkörpert, alles, was ich (…) je geschlossen, vermutet, geträumt hatte.« Später führt die Kugel das Quadrat durch die Dritte Dimension und das Quadrat folgt »wie in einem Traum« (Abbott 1982, 186, 188).
     
    Wie Gebser schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges schrieb, ist die mentale Struktur defizient geworden, insofern sie die Probleme, die sie in die Welt gebracht hat, nicht mehr
lösen kann. Dieses Urteil wird durch die Dauerkrisen und -katastrophen, die am Anfang dieses Buches aufgelistet wurden, unterstrichen; um nur einige Beispiele kurz zu wiederholen: (a) Die Menschheit vergiftet sich zunehmend selbst. (b) Obschon sich die mentale Welt für rational hält, hängt ihr Wohl wie ein seidener Faden vom Auf und Ab der Wirtschaftsbörsen ab, die ganz irrational von Gerüchten, Stimmungen und Panik-Reaktionen beeinflusst werden. (c) Große Teile unserer Gesellschaft sind auf eine immer weiterwachsenden Wirtschaft fixiert, was der rationalen Einsicht in die Grenzen des Wachstums völlig widerspricht. (d) Sprichwörtlich ist nach wie vor die Hilflosigkeit gegenüber dem Rechtsextremismus, ebenso gegenüber Terrorismus und Amokläufen. (e) Obwohl sich die Klimakatastrophe schon seit Jahrzehnten abzeichnet, war die Menschheit bisher nicht imstande, ihr entgegenzusteuern. (f) Tagtäglich wachsen die Halden mit hochgiftigem Atommüll, obwohl deren Entsorgung bis heute völlig ungelöst ist.
    Soweit einige der Probleme, die durch das mentale Bewusstsein geschaffen wurden, aber auf der Grundlage eben dieses Denkens nicht mehr gelöst werden können. Dazu bedarf es eines veränderten Bewusstseins, das Gebser als integral bezeichnet und dessen Anzeichen schon in der Gegenwart erkennbar sind.
    Die gegenwärtige Übergangszeit ist so krisenhaft, weil einerseits viele Politiker, Militärs und Wirtschaftsführer bereits vierdimensionale Produkte wie die Atomkraft handhaben, während sie (und große Teile der Bevölkerung) noch im mentaldreidimensionalen Bewusstsein befangen sind. Gebser (1988, 386f.) schreibt: »Während immer mehr Zweige der Wissenschaft sich mit dem Zeitfaktor auseinanderzusetzen begannen und teilweise zu einer ganzheitlichen Betrachtung gelangten, während andere bereits mit den vierdimensionalen Gegebenheiten zu arbeiten anfingen und damit äußerst greifbare Resultate, wie beispielsweise die Atomspaltung, bewirken, verblieb die nicht-wissenschaftliche Welt, und in ihr nicht zuletzt die
führenden Staatsmänner und Leiter der Wirtschaft, noch der bereits überholten dreidimensionalen und dualistisch-materialistischen Weltvorstellung verhaftet, handhabte aber bereits vierdimensionale Produkte. Jedoch: Sie verwendete diese vierdimensionalen Produkte falsch, nämlich auf dreidimensionale Art. Und nun ist die Verwunderung und Bestürzung groß, dass dabei dieses ganze Weltgefüge ins Wanken kam.«
    Für Jean Gebser (1988, 392) verhalten wir uns »wie einer, der versucht, in einem Zimmer mit einem Ultraschallflugzeug zu fliegen. Mit anderen Worten: wir versuchen in einer Welt, dem Zimmer, das ein dreidimensionaler Raum ist, ein Produkt vierdimensionaler Art, ein Ultraschall-Flugzeug, anzuwenden, das unser bisheriges, nur räumlich orientiertes Wahrnehmungsvermögen übersteigt.«
    Der Ausweg aus den Krisen und Katastrophen der Gegenwart besteht für Gebser in einer neuen Bewusstseins-Struktur, die er als integral bezeichnet (und das in seinen Einzelheiten hier

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