Die Kunst, nicht abzustumpfen
Sie sind einerseits emotional weniger abgeschottet gegenüber den Katastrophen-Meldungen. Weil sie offen für die Schmerzen über die Welt sind, spüren sie umso mehr die Dringlichkeit, etwas dazu beizutragen, vermeidbares Leid zu mildern oder den Kollaps des Ökosystems Erde noch abzuwenden. Andererseits müssen jedoch viele, die sich engagiert haben, erkennen, dass jahrzehntelange Bemühungen wie Tropfen auf einen heißen Stein anmuten: Armut, Ungerechtigkeit, Naturzerstörung, Rüstung, Kriege usw. gehen weiter und immer weiter.
Erschwerend kommt, wie Cevoli (1986) beobachtete, hinzu, dass viele engagierte Menschen sich fremd im eigenen Land fühlen, wenn sie in einem Umfeld wohnen, das ihre Werte nicht teilt. Während sie ihre Zeit und Kraft z. B. in eine Bürgerinitiative stecken, machen andere Geld und Karriere.
Wie die Friedensarbeiterin Andrea Ayvazian beobachtete, vernachlässigen nicht wenige Aktivisten ihre Partnerschaft und Freundschaften, weil sie zu viele Überstunden und Extra-Termine wahrnehmen. Viele fühlen sich von der Warnung, es sei »5 vor 12«, wie getrieben, gegen den herrschenden Wahnsinn anzugehen und reagieren mit Schuldgefühlen, wenn es darum geht, sich freizunehmen oder angemessen bezahlt zu werden (»denn die Menschen in Afrika sind ja noch schlimmer dran …«); nicht wenige leben trotz hohem Arbeitsaufwand in ärmlichen Verhältnissen. Darüber hinaus herrscht in nicht wenigen Initiativen ein Aktivismus, der dazu führt, dass die Beteiligten über Monate oder Jahre kaum dazu kommen,
ihre eigenen Aktivitäten gründlich zu reflektieren (Cevoli 1986).
Dies alles kann zu Symptomen führen, die als Burn-out bezeichnet werden. Dieser Begriff wurde seit Anfang der 1970er-Jahre vom Psychoanalytiker Herbert Freudenberger populär gemacht. Er hatte unter ehrenamtlichen Mitarbeitern von Hilfsorganisationen beobachtet, dass diese nach Phasen der Überanstrengung sehr erschöpft, frustriert und reizbar waren sowie körperliche Beschwerden hatten (Dettmer, Shafy / Tietz 2011, 116).
Seither wurde der Begriff auf immer mehr Berufsgruppen ausgeweitet. Die WHO erklärte beruflichen Stress zu einer der größten Gefahren des neuen Jahrhunderts. Der Spiegel kommt 2011 zum Fazit, das die Deutschen ein »Volk der Erschöpften« sind (Dettmer, Shafy / Tietz 2011, 114): Fast jeder Dritte leidet innerhalb eines Jahres an einer psychischen Störung; die Krankschreibungen wegen psychischer Belastungen haben sich seit 1990 fast verdoppelt; rund 4 Millionen Deutsche leiden unter behandlungsbedürftigen Depressionen; 38 Prozent aller Frühverrentungen erfolgen aufgrund seelischer Krankheiten.
Verschiedene Autoren unterscheiden verschiedene Phasen von Burn-out und listen eine Reihe von Symptomen auf:
Erste Anzeichen sind z. B. Gefühle von Frustration und Ausgelaugt-Sein; Schlafstörungen, Schmerzen, Tinnitus, Unregelmäßigkeiten des Herzschlags, gesteigerte Arbeitsaktivität oder erhöhte Reiz- und Kränkbarkeit. Privates kann immer weniger vom Beruflichen getrennt werden. Die Betroffenen rutschen zunehmend in eine Selbstausbeutung und können immer schlechter regenerieren.
Zu einem fortgeschrittenen Stadium zählen z. B. aggressive Ausbrüche, blinder Aktionismus, Ohnmachtsgefühle, Gedächtnis- und Konzentrations-Schwierigkeiten.
Im akuten Burn-out-Zustand kommt es oft zu Arbeitsunfähigkeit oder Kündigung; die betroffene Person fühlt sich
völlig erschöpft, inkompetent, unproduktiv oder apathisch; es droht Depression, Infarkt oder im Extrem Suizid (Ruhwandl 2010; Dettmer, Shafy / Tietz 2011, 117).
Herbert Freudenberger und Gail North (1992) nennen darüber hinaus das Gefühl, alles alleine machen zu müssen, weil Delegieren als zu umständlich und zeitaufwendig erlebt wird. Sozialkontakte werden zunehmend als entbehrlich, belastend oder überfordernd erlebt und gemieden. Aus Furcht vor anderen Menschen kapselt die betreffende Person sich immer mehr ab, wird zynisch, ungeduldig, intolerant und immer weniger einfühlsam. Es entsteht ein Gefühl von Leere; Alkohol, Koffein oder Schlafmittel werden erhöht verbraucht; Termine werden vergessen.
In der wachsenden Zahl von Ratgeber-Literatur zum Thema erhalten Betroffene eine Vielzahl von Tipps, um dem Burn-out entgegenzutreten. So rät beispielsweise die Psychotherapeutin Dagmar Ruhwandl (2010, 37f.) zusammengefasst zu folgenden drei Strategien:
Regenerieren: Besinnen Sie sich darauf, welche Möglichkeiten der Regeneration Ihnen früher geholfen haben
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