Die Kunst, nicht abzustumpfen
Berufstätigen in der Wirtschaft verglichen werden kann: Michael Schumann vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen charakterisiert die moderne Arbeitswelt als »zunehmend grausam gegenüber dem
Individuum« (zit. in: Ruhwandl 2009, 21). So ist Burn-out in der Wirtschaft oft die Folge von Fremdbestimmung, Unterforderung, langweiliger Routine, schlechtem Arbeitsklima, mangelnder Anerkennung, entfremdeter Arbeit oder Sinn-Mangel (Ruhwandl 2010, 41; Litzcke / Schuh 2007, 170; Jaeggi 2005). So gesehen könnte eine heilsame Maßnahme gegen Burn-out in der Wirtschaft auch darin bestehen, sich für menschenwürdige Arbeitsbedingungen einzusetzen oder einen sinnwidrigen Job zu kündigen.
Im Unterschied dazu hat jedoch Burn-out bei Menschen, die sich sozial oder politisch engagieren, häufig ganz andere Ursachen. Entfremdung, Sinn-Verlust, Unterforderung oder Langeweile ist hier nicht das Problem. Mit »Dingen, die nicht erreichbar sind, abzuschließen«, wie Ruhwandl (2009, 24) empfiehlt, ist hier keine Option, denn die Arbeit für Frieden, Gerechtigkeit und Naturbewahrung richtet sich ja genau auf Ziele, die schwer erreichbar sind (auf die »schwer erreichbare Kostbarkeit«, wie es in der Sprache der Märchen heißt). Hier erscheint es mir eher hilfreich, seine Definition von »Erfolg« zu überdenken (dies wurde bereits auf Seite 84 thematisiert) und sich – lokal handelnd – zu begrenzen.
So wichtig es grundsätzlich ist, zu regenerieren, zu delegieren und seine Grenzen erkennen zu können, so scheint mir doch das Problem noch tiefgründiger zu sein. Positiv gewendet, kann m.E. ein tiefergehendes Verständnis von Burn-out hilfreich sein für die Gesundheit derjenigen, die sich sozial oder politisch engagieren – es kann aber auch deren Engagement selbst verbessern. Dies möchte ich an zwei Aspekten verdeutlichen:
Hilflose Helfer?
Sich für Frieden, Gerechtigkeit und Naturbewahrung zu engagieren, ist nicht einfach nur ein »Job«, sondern für die Beteiligten eine Herzensangelegenheit, verbunden mit viel innerer
Anteilnahme, Motivation, Arbeit und Zeit. Diese Arbeit zählt in einem erweiterten Sinn zu den helfenden Tätigkeiten; daher halte ich das Verständnis der seelischen Not von Helfern für geeignet, um manche Schwierigkeiten von Menschen zu verstehen, die sich für Frieden, Gerechtigkeit oder Naturbewahrung engagieren. Damit soll ihr Engagement keineswegs abgewertet werden; vielmehr möchte ich an einigen Aspekten zeigen, dass ein tieferes Verständnis der Not dazu beitragen kann, diese Arbeit wirkungsvoller zu gestalten:
Das so genannte »Helfer-Syndrom« wurde von Wolfgang Schmidbauer in seinem Buch »Die hilflosen Helfer« (erste Auflage: 1977) thematisiert. Der Psychotherapeut und Supervisor beobachtete in seiner Arbeit mit Ärzten, Krankenpflegern, Psychotherapeuten und Sozialarbeitern, dass hinter deren stark erscheinender Fassade nicht selten viel Leid, Hilflosigkeit und unbewusste Motive verborgen sind. Etwa narzisstische Bedürftigkeit, die sich – solange sie unerkannt bleibt – dahingehend auswirken kann: dass die Betreffenden z. B. eine unbewusste narzisstische Unersättlichkeit mit sich tragen; dass sie sich stark mit dem Über-Ich identifizieren; oder dass sie Aggressionen nur ganz indirekt auszudrücken vermögen.
Dies verursacht zum einen viel seelisches Leid für die Betroffenen selbst: z. B. wenn sie Anerkennung und Erfolgserlebnisse, wenn es sie denn gibt, kaum annehmen und sich daran emotional kaum »sättigen« können. Oder indem sie sich überarbeiten, um einem überhöhten Ich-Ideal zu entsprechen.
Dies verursacht zum anderen aber auch ungewollte »Nebenwirkungen« für ihre soziale oder politische Tätigkeit. Um nur zwei kurz zu nennen:
Nebenwirkung 1: Die starke Identifizierung mit dem Über-Ich und einem überhöhten Ich-Ideal ist nach Schmidbauer (1991, 204) problematisch, wenn sie den Helfer dazu verführt, »seine eigenen Gefühle und Bedürfnisse nicht wahrzunehmen. Er bekämpft durch sein Verhalten seine Unfähigkeit, etwas für sich zu tun. Er füllt eine innere Leere aus.« Dies kann so weit
gehen, dass das Helfen bzw. Engagement mit der Zeit zu einer Art Zwang wird, das unfroh, mürrisch und unbarmherzig gegen das eigene Selbst getan wird. Dieser Typus des griesgrämigen Aktivisten erscheint mir recht verbreitet; er ist das Gegenteil von der Haltung, die für Gandhi das Wesen von Satyagraha ausmacht.
Nebenwirkung 2: Wer die Welt und Beziehungen aus der
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