Die Kunstjaegerin
Kommissariats holte Theresa beim Portier ab, führte sie durch die Sicherheitsschleuse und zeigte ihr kurz angebunden, wo das Büro des Chefinspektors war. Unsicher öffnete Theresa die Tür, blieb stehen und wartete. Kiesling telefonierte gerade und signalisierte ihr, sie solle sich auf den Sessel vor seinem Schreibtisch setzen. Ihr Blick schweifte über den ordentlich aufgeräumten Arbeitsplatz und blieb an einem Familienfoto mit zwei kleinen Mädchen hängen. Das würde Flora bestimmt interessieren.
Nach fünf endlos langen Minuten legte Kiesling auf und brummte: »Guten Morgen!« Er musterte Theresa mit einem durchdringenden Blick.
Am Nebentisch machte sich ein Mann durch ein Räuspern bemerkbar. Theresa fand seine athletische Figur und das kurze blonde Haar ganz ansprechend. Bloß sein fast unsichtbarer Oberlippenbart irritierte sie.
»Das ist Inspektor Geza Zipser, wir bearbeiten den Fall gemeinsam«, brummte Kiesling.
Zipser nickte ihr lächelnd zu und Theresa grüßte schlaff zurück.
»Wenn Ihnen etwas einfällt und Sie mich nicht erreichen, können Sie sich an ihn wenden«, fuhr Kiesling fort.
»Gut, mache ich«, antwortete Theresa. Sie drehte sich zu Zipser, der eine verdächtig gut riechende Tasse vor sich stehen hatte.
»Wenn das Kaffee ist, dürfte ich bitte einen haben? Sonst kommt mein Gehirn nicht auf Trab.«
Zipser grinste. »Natürlich, wenn ich ihn zubereite, bewirkt er Wunder.«
»Für mich auch einen, danke, Geza«, sagte Kiesling ohne aufzublicken und öffnete eine Mappe. »Gut, fangen wir an. Wie lange kannten Sie Rembert Wenz?«
»Ich habe ihn vor fünf Tagen getroffen. Ich bin über Ver-mittlung meines Freundes Paul Hohenau zu ihm gekommen, habe am Mittwoch mein Bild abgegeben und wollte es gemeinsam mit Herrn Hohenau am Sonntag untersuchen. Als wir beim Atelier ankamen, war die Polizei bereits da. Ich habe ihn also nur einmal gesehen, leider. Er war mir sehr sympathisch.«
Nervös knabberte sie an ihrer Oberlippe. Hatte das jetzt dumm geklungen? ›Er war mir ja so sympathisch. Allein deswegen kann ich nichts mit dem Mord zu tun haben‹ – wer käme überhaupt auf diese Idee? Lächerlich!
»Wo waren Sie am Samstag um circa 23 Uhr?«
Offensichtlich kam Kiesling auf diese Idee! Theresa starrte den Chefinspektor sprachlos an. Erst nach ein paar Sekunden fand sie ihre Fassung wieder. »Ich war zu Hause, mein Mann, Leon Valier, wird Ihnen das bestätigen.«
Ehepartneralibi – nichts wert, durchfuhr es Theresa, die sich mit einem Fuß schon in der Zelle sah. Und wer sollte Dino mittags vom Kindergarten abholen?
»Sie sind ja ganz bleich geworden. Keine Angst, das ist Routine.
Für die Akten, dass wir wirklich jedem Hinweis nachgegangen sind und jede winzige Spur verfolgt haben.«
Hinweis? Wer zum Kuckuck hatte ihm einen Hinweis gegeben, der auf sie deutete?
»Meine Befragung dient hoffentlich nur dazu, Ordner mit unwichtigen Informationen zu füllen«, murmelte sie kleinlaut.
Zipser brachte den Kaffee und Theresa nahm einen Schluck. Er war so bitter, dass es fast wehtat. Sie stellte die Tasse zurück auf den Tisch und schob sie ganz weit weg.
»Bürokratie muss leider sein«, sagte Kiesling ungerührt und notierte ihre Angaben.
»Ich weiß, die Fragen stellen Sie, aber ist es sicher, dass es Mord war? Herr Wenz meinte bei unserem letzten … und ersten Treffen, dass die Treppe, die in sein Atelier führt, ihn eines Tages umbringen würde.«
»Die Treppe und ein vergoldeter Kerzenleuchter. Rembert Wenz wurde am späten Samstagabend im ersten Stock niedergeschlagen und fiel dann die Stufen hinunter. Die Gerichtsmedizin muss noch klären, ob der Schlag oder der Sturz die Todesursache war«, antwortete Kiesling trocken, nippte an seinem Kaffee und verzog das Gesicht.
»Das ist ja furchtbar!« Theresa sah den alten Herren fallen, sich überschlagen und am Fuß der Treppe regungslos liegen bleiben. In einer Lache aus dunkelrotem Blut, das sich langsam mit seinen weißen Haaren vermischte. Gänsehaut lief ihr über den Rücken und sie war froh, als der Chefinspektor weitersprach.
»Anfangs sind wir von einem Unfall ausgegangen, da die Kopfverletzung vom Sturz hätte kommen können. Die Reste von Blattgold in der Wunde und das Blut am Leuchter sind jedoch ziemlich eindeutig. Wie auch immer, wir müssen das endgültige Ergebnis abwarten.«
Wieso erzählte er ihr das alles? Sonst schien er kein Freund vieler Worte zu sein. Wollte er sie beruhigen? Oder spekulierte er etwa
Weitere Kostenlose Bücher