Die Kunstjaegerin
Oder war es besser, heiße Ware so schnell wie möglich loszuwerden? Sie musste das alles dringend mit Flora besprechen.
Zu Hause angekommen machte sie sich auf die Suche nach ihrem Handy. Da es nirgendwo zu finden war, unterzog sie ihr Auto einer näheren Inspektion und tatsächlich – unter den Resten von Dinos Jause entdeckte sie in einer leeren Schokoriegelverpackung das Telefon. Hier hatte es also das Wochenende verbracht.
Theresa ging in die Küche zurück, schrubbte sich gründlich die Farbe von den Händen und ließ ihre Saeco einen trinkbaren Kaffee zaubern. Als sie Floras Nummer wählen wollte, bemerkte sie, dass sie sieben Anrufe verpasst hatte. Die ersten sechs waren von den üblichen Verdächtigen: dreimal ihre Mutter, zweimal Leon und einmal Flora. Die letzte Nummer kannte sie nicht. Als die tiefe Stimme von Rembert Wenz erklang, sank Theresa in den Sessel.
Geschockt lauschte sie, was ihr der Restaurator zu sagen hatte. Es war gespenstisch, wie eine Nachricht aus dem Jenseits.
»Grüß Gott, Frau Valier. Ich habe gleich begonnen, das Bild zu untersuchen und habe einige außergewöhnlich interessante Entdeckungen unter dem Infrarotlicht gemacht. Der Rahmen, in dem das Gemälde war, ist übrigens original aus der Zeit. Das kommt höchst selten vor. Gut, eigentlich wollte ich Ihnen nur schnell eine Frage stellen … aber das können wir morgen bei der Vignettenanalyse besprechen. Auf Wiederhören und gute Nacht.«
Mit zittrigen Händen schaute Theresa nach, wann Wenz angerufen hatte. Samstag um 22 Uhr. Kurz vor dem Mord! Theresa legte beide Hände vors Gesicht, atmete tief ein und aus. Wenn er nicht an ihrem Bild gearbeitet hätte, wäre er nicht im Atelier gewesen. War die ›Krönung‹ schuld an seinem Tod?
Verzweifelt versuchte sie Leon zu erreichen. Es meldete sich nur seine Mailbox. Verdammt!
Flora hingegen hob sofort ab.
»Hal…«
»Wenz hat mich kurz vor seinem Tod angerufen«, unterbrach Theresa sie abrupt. »Er war mit meinem Gemälde beschäftigt, als der Mörder kam. Wenn er nicht dort gewesen wäre …« Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.
»Ich springe sofort ins Auto und komme vorbei. Bitte beruhige dich! Und vielleicht war er verabredet und deshalb im Atelier.
Dann war er nicht wegen der ›Krönung‹ da, sondern umgekehrt: Er arbeitete daran, weil er sowieso dort war.«
»Du bist eine wahre Freundin«, flüsterte Theresa ins Telefon.
»Und in 15 Minuten bei dir«, antwortete Flora. »Um dich abzulenken, könntest du inzwischen Kaffee und Kuchen vorbereiten. Kopf hoch, alles wird gut.«
Seine Faust donnerte auf den Tisch, dass das Geschirr klirrte. Wer?
Wer konnte noch davon wissen? Er hatte niemandem davon erzählt.
Doch jemand hatte es ihm vor der Nase weggeschnappt.
Er musste sich jetzt beeilen, sonst könnte der andere das Geheimnis vor ihm lüften. Aber nur er hatte es verdient, nur er hatte sich jahrelang damit beschäftigt und danach gesucht!
Ihm war das Bild angeboten worden! Er allein würde damit in den Olymp der Wissenschaft aufsteigen. Er allein!
Während Theresa einen gefrorenen Apfelstrudel in den Ofen schob, dachte sie an Floras Einwand, dass Wenz Samstagabend im Atelier auf jemanden gewartet hatte. Das konnte stimmen, um 22 Uhr war das Licht denkbar schlecht. Oder arbeiteten Restauratoren auch bei künstlichem Licht? Vielleicht sogar lieber als mit Tageslicht? Aber waren nicht die Impressionisten hinaus ins Freie gezogen, um das Sonnenlicht besser einfangen zu können?
Zerstreut stand Theresa in der Küche und hatte vergessen, was sie dort wollte. Gleich würde Flora kommen … Ach ja, der Strudel!
Was brauchte sie noch? Teller, Gabeln, Milch, Zucker. Wenz hatte das Bild also aus dem Rahmen genommen. Ob der noch da war?
Dann hätte sie wenigstens eine Erinnerung an das Bild … und an Papa. Es tat ihr plötzlich doch leid, dass das Gemälde gestohlen war. Es war ihr Erbe, die Erinnerung an ihren König. Sie wollte es Dino weitergeben und der sollte es seinen … Aber wenn der Rahmen beschlagnahmt war? Befand er sich in einem Depot der Polizei? Und lag der Restaurator in einem Kühlfach der Gerichtsmedizin? Mit einem Zettel am Zeh? Was hatte er bloß auf dem Bild gefunden? Was wollte er sie fragen?
Theresas Gedanken schwirrten wirr umher. Und immer wieder schossen ihr sechs Worte durch den Kopf: ›Du bist schuld an seinem Tod!‹ Kälte jagte ihren Rücken hoch, sie setzte sich und schluchzte laut auf. Wenz hätte ihre
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