Die Kunstjaegerin
Beweismaterial oder war er lediglich pedantisch?
Glücklicherweise hatte Renoir keine Blutspuren hinterlassen. Wie hätte das erst ausgesehen!
»Oh, dann ist …«, murmelte Theresa verwirrt und hielt inne. Sie wusste nicht mehr, was sie hatte sagen wollen.
Kiesling zog zwei Visitenkarten aus seiner Sakkotasche. Eine gab er Theresa, die andere Paul. »Würden Sie morgen ins Präsidium kommen, damit wir das Protokoll aufnehmen? Frau Valier, Sie könnten, sofern vorhanden, ein paar Fotos mitbringen und eine Diebstahlanzeige aufgeben. Das werden Sie für die Versicherung brauchen. Und wir brauchen ein paar Abzüge für die Akten.«
Versicherung, ja sicher, dachte Theresa. Besaßen sie natürlich noch keine! Wann hätte sie die machen sollen? Und wenn schon, armer Rembert! Welch einen Wert hatte schon ein Kunstwerk im Vergleich zu einem Leben? Auch wenn es Papas Bild gewesen war.
Ihr König …
»Und was ist mit mir?«, hörte sie Flora fragen. »Soll ich nichts zu Protokoll geben?«
»Bist du verwandt, bestohlen worden, hast etwas gesehen oder den Restaurator umgebracht?« Kiesling, der Janusköpfige, sah Flora lächelnd an.
»Viermal nein.«
»In dem Fall habe ich keine weiteren Fragen.« Sein Ausdruck wurde wieder ernst, er nickte Paul kurz zu und ging grußlos zu den wartenden Gaffern.
Theresa musterte Flora eindringlich. »Was war das denn?«
»Nichts«, Flora drehte sich weg. »Ich fahre nach Hause.«
»Komm jetzt sofort mit und erzähl alles«, befahl Theresa und hielt ihre Freundin am Arm fest.
»Da gibt es nichts zu erzählen.« Flora versuchte, sich aus dem Griff zu befreien.
»Ma petite, da haben deine glutroten Wangen aber etwas ganz anderes signalisiert. Flora und der Kommissar – die Geschichte möchte auch ich hören. Derart derangiert habe ich dich selten erlebt.« Paul versuchte offensichtlich, mit Spott seine Bestürzung über den Tod seines Onkels zu überspielen.
»Bitte Flora, komm mit uns auf einen Kaffee«, drängte Theresa.
»Ich muss mich jetzt irgendwo hinsetzen und darüber reden, was gerade passiert ist.«
»Ich würde es ebenfalls begrüßen, jetzt mit Freunden zusammen zu sein«, sagte Paul. »Und mit dir, Flora.«
»Na gut, gehen wir. Wo ist das nächste einigermaßen erträgliche Kaffeehaus? Du musst dich doch auskennen, Thesi, ist nicht hier in der Nähe dein Verlag?«
»Ja, gleich um die Ecke. Und daneben gibt es ein nettes, kleines Lokal.«
Das ›Milchkandl‹, eine Bäckerei mit angeschlossener Konditorei, war auch sonntags geöffnet. Die drei gingen an der Vitrine mit flaumigen Krapfen und frischem Apfelstrudel vorbei und zogen sich im hinteren Teil des Ladens in einen separaten Raum zurück.
Nachdem die Kellnerin die gewünschten doppelten Espressi gebracht hatte, rührten alle eine Zeit lang gedankenversunken in ihren Tassen.
»Es tut mir leid, Paul«, unterbrach Theresa schließlich die Stille.
»Ich habe Rembert zwar nur einmal gesehen, aber ich habe ihn vom ersten Moment an gemocht. Er war beeindruckend. Ein bisschen hat er mich an Papa erinnert.« Sie ergriff seine Hand.
»Ich glaube, ich habe noch gar nicht begriffen, dass er wirklich tot ist. Das kam überraschend, obwohl … bei seinem Lebenswandel.«
»Jetzt klingst du selbst wie die alten Tratschweiber da draußen«, fiel ihm Theresa ins Wort.
»Nein, ich beziehe mich auf die Trinkerei und seine kaputte Leber, die ihn ohnehin bald ins Grab gebracht hätte. Dabei war er so begabt. Er hat in den 80er-Jahren im Vatikan sogar an der Restaurierung der Sixtinischen Kapelle mitgearbeitet.« In Pauls Augen traten Tränen. »Ich glaube, ich sollte Tante Marie anrufen.
Oder macht die Polizei das auch bei Expartnern?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich besuche sie später und teile es ihr persönlich mit.«
»Wieso waren sie geschieden?«, frage Flora leise.
»Wahrscheinlich war für sie übermäßiger Alkoholgenuss kein probates Mittel, um eine Schaffenskrise zu überwinden«, antwortete Paul. »Ich habe ihn trotzdem sehr gemocht. Er war zwar seit der Trennung nicht mehr offizielles Mitglied der Familie, aber für mich blieb er ein guter Freund. Einer, der anders war als der Großteil der Hohenaus’: ehrlich, geerdet … Bei all seinen Fehlern in gewisser Weise ein Ehrenmann.« Er zog ein Stofftuch aus seiner Sakkotasche. Dabei fiel die Visitenkarte des Chefinspektors auf den kleinen, runden Marmortisch.
Theresa nahm sie in die Hand und spielte damit herum. Gehörte Kiesling eigentlich zur
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