Die Kunstjaegerin
Großherzog, der auf Reisen in Pisa war, sandte mir nach der Rückkehr einen berittenen Knecht, um mir mitzuteilen, dass er sich anschickte, mir einen Besuch abzustatten. Eine Stunde später traf er höchstselbst, nur in Begleitung eines einzelnen Edelmannes, in seiner Karosse ein, und nachdem er in meinem bescheidenen Haus abgestiegen war, verweilte er in seiner Güte drei geschlagene Stunden bei mir. Auch brachte er mir einen goldenen Krug als Geschenk, ein unnachahmlich edles Stück, das von größter handwerklicher Meisterschaft zeugt. Doch weit höher schätze ich den symbolischen Wert. Steht der Krug doch für l’amitié, die Freundschaft.
Ihr seht, ich habe in keiner der zwei Dinge gelitten, welche bei uns höher als alles andere geschätzt werden – dem Leben und dem Ansehen. Die Kränkungen und Ungerechtigkeiten, die Neid und Böswilligkeit gegen mich ins Werk gesetzt haben, werden durch die Freundschaft, die mir in der letzten schweren Zeit von so vielen Seiten entgegengebracht wurde und immer noch wird, hundertfach übertroffen.
Dass Ihr Euer Kommen verschieben müsst, füllt mein Herz mit Trauer, da ich in Euch meinen besten Freund gefunden habe. Aber tröstet Euch mit meiner Zusage, dass ich hier imstande sein werde, alle meine Aufgaben zu Ende zu führen und zu veröffentlichen.
Lebt wohl, schließt mich in Eure Gebete ein, so wie ich Gott bitten werde, Euch zu schützen!
Euer G.
Kapitel 5
Wien, Dienstag, 5. November
Leon und Dino waren aus dem Haus, die größte Unordnung schien beseitigt und Theresa saß, an ihrem Bleistift kauend, im Wohnzimmer. Sie starrte aus dem Fenster. Eigentlich sollte sie an den Zeichnungen weiterarbeiten. Aber die beiden Bücher über Sustermans lagen wie ein stummer Vorwurf neben ihr.
Vielleicht halfen ein paar Nachforschungen, das Gemälde wiederzufinden und damit den Mord aufzuklären. Wieder beschlich sie dieses komische Gefühl, dass die ›Krönung‹ etwas Besonderes war und eine wichtige Rolle spielte. Nur wie sollte sie weiter vorgehen? Wenn sie nur wüsste, was Wenz kurz vor seinem Tod entdeckt hatte!
Theresa nahm die Bücher in die Hand, legte sie jedoch gleich wieder weg. Sie wollte zuerst ihre Mails ansehen, vielleicht hatte sich inzwischen einer der Experten gerührt. Sie fuhr ihren Laptop hoch, der seit dem Mord auf der Wohnzimmerkommode verstaubte.
Bei ihren ersten Recherchen im Internet, kurz nach der Entdeckung des Zettels, war sie auf ein paar italienische Kunsthistoriker gestoßen, die sich mit Sustermans beschäftigten: die Autoren der beiden Sustermans-Bücher und ihre Mitarbeiter. Jedem von ihnen hatte sie Fotos geschickt und sie um Hilfe gebeten. Auch an das Wiener Auktionshaus hatte sie, gleich nach Floras Anruf, geschrieben. Wenn die gerade einen Sustermans versteigerten, konnten sie vielleicht etwa zu Theresas Gemälde sagen.
Eine ganze Liste von Mails baute sich auf dem Monitor auf.
Gleich die ersten drei kamen aus Italien. Theresa öffnete die Nachricht, die ganz oben stand. Sie war von Luca Bevilaqua. Er hatte eine Sustermans-Ausstellung in Florenz organisiert und einen Katalog dazu gestaltet. Mit den schlechten Schwarz-Weiß-Abbildungen, wie sie sich erinnerte. Leider war seine Mail lediglich eine Abwesenheitsnotiz – wie auch die nächste von Giancarlo Scuro, dem Autor des anderen Buches über Sustermans und die Medici.
Theresa war enttäuscht. Doch eigentlich konnten noch gar keine Antworten gekommen sein, sie hatte erst vor etwas mehr als einer Woche angefragt. Und welcher Kunsthistoriker saß schon den ganzen Tag vor dem Computer, um auf Mitteilungen wildfremder Personen zu warten?
Ohne viel Hoffnung öffnete sie die dritte Nachricht, die von einem Experten für Medici-Porträts stammte. Überrascht erblickte sie ihren Namen und las aufgeregt weiter.
Sehr geehrte Frau Valier!
Mit Interesse habe ich Ihr Schreiben gelesen und die Attachements studiert. Wenn Sie die Möglichkeit haben, mit dem Bild nach Italien zu kommen, könnte ich das Gemälde genauer begutachten und wäre gerne bereit, Ihnen eine Expertise zu schreiben. Nur anhand der Fotos kann ich leider keine genauen Angaben machen.
Die Kosten für die Expertise würden sich auf circa 2.000 Euro belaufen.
In Erwartung Ihrer geschätzten Antwort verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
Dott. Sandro del Rosso
»Da kommen Sie leider etwas zu spät, verehrter Dottore«, murmelte Theresa, während sie eine Antwort verfasste. Sie bedankte sich und schrieb,
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