Die Kunstjaegerin
weiter im Raum um. Ein älterer Herr kam ihr bekannt vor und sie überlegte kurz, ob sie ihn grüßen sollte. Da sie jedoch die unangenehme Angewohnheit hatte, Menschen miteinander zu verwechseln, verwarf sie den Gedanken. Erst vor Kurzem hatte sie in der Kärntnerstraße einen Mann mit einem Redeschwall überschüttet, von dem sie glaubte, es sei ein lange verschollener Studienkollege. Bis sie bemerkte, dass sie ihn aus den Hauptabendnachrichten kannte, vergingen doch geschlagene drei Minuten. Seit dieser Episode grüßte sie deutlich verhaltener.
Und eine Brille hatte sie sich noch immer nicht besorgt!
Das Klopfen des Hammers riss sie aus ihren Gedanken.
»Und verkauft für 100.000 Euro an den Herrn in der letzten Reihe.«
Theresa drehte sich unauffällig um. Wer konnte sich ein Bild für diesen Preis leisten? Sah nach einem Russen aus, er erinnerte sie ein bisschen an Putin. Die Oligarchen hatten vor einiger Zeit den 1.
Bezirk in Wien entdeckt und kauften sich dort die schönsten Immobilien.
Die Wohnungen mussten selbstverständlich standesgemäß eingerichtet werden, da waren 100.000 Euro wahrscheinlich ein Klacks.
Theresa schielte vorsichtig zu ihrem unbekannten Bekannten, doch der hatte anscheinend die Auktion verlassen. Er war wohl nur an diesem Werk interessiert gewesen. Sie griff, da Flora noch immer mit Haarezwirbeln beschäftigt war, nach dem Katalog und suchte nach dem Sustermans-Gemälde. Theresa rechnete sich aus, dass es in 20 Minuten dran sein würde und ließ die Versteigerungen der anderen Alten Meister an sich vorüberziehen, erstaunt darüber, wie viel Geld trotz Wirtschaftskrise und Gejammer von allen Seiten vorhanden war.
Schließlich hörte sie den Auktionator rufen: »Jetzt kommen wir zu Lot 35. Justus Sustermans Umkreis. Porträt der Vittoria della Rovere. Ausrufpreis 120.000 Euro.«
Er blickte in den Saal und eine stark blondierte Dame links vorne nickte. »Erstes Gebot 120.000 Euro, höre ich 125.000?«
Eine weitere Nummernkarte ging in die Höhe und drei Bieter lizitierten, bis sie 145.000 Euro erreicht hatten. Nun wurde die Versteigerung zäher, der Auktionator musste nachhaken.
Schließlich sauste der Hammer bei 150.000 Euro auf den Schlagbock. Flora pfiff leise, Theresa kratze sich an der Wange.
»Jetzt würde es mir an deiner Stelle sehr leid tun, dass das Bild weg ist«, flüsterte Flora.
»Wer weiß, ob wir jemals den Nachweis erbracht hätten, dass es ein echter Sustermans ist«, erwiderte Theresa.
»Das hier wurde nur als ›Sustermans Umkreis‹ verkauft.«
»Aber es war doppelt so groß.«
»Trotzdem …«
»Bitte Flora, ich weiß!«, zischte Theresa. »Es hilft nichts, dem Gemälde nachzuweinen. Warten wir, ob es wieder auftaucht. In der Zwischenzeit können wir weiterforschen und vielleicht Remberts Mörder finden.«
Ungeduldig stand sie auf, als wollte sie flüchten. Dass Flora nur am Wert interessiert zu sein schien, verärgerte sie. Und plötzlich flammte neben ihrer Trauer eine undefinierbare Angst auf. Der Gedanke, dass sie mit dem Bild eine unsichtbare Verbindung zu einem Verbrecher hatte, jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
»Ich bin so wahnsinnig neugierig, was Wenz entdeckt hat«, plapperte Flora unbekümmert weiter und nickte ihrem Sitznachbarn lächelnd zu, als sie sich vom Stuhl erhob.
»Das werden wir leider nicht mehr erfahren«, erwiderte Theresa knapp.
»Gehen wir noch auf einen Kaffee?«
»Nein, ich muss Dino holen. Wir sehen uns am Abend. Wer war übrigens der junge Mann?«
»Ach niemand, er hat mir ein paar interessante Sachen über Antiquitäten erklärt und ein paar Einkaufstipps gegeben.«
»Ja, natürlich.« Theresa nickte wissend.
Das Signal ihres E-Mail-Posteingangs ließ Theresa, die gerade den Tisch für das Treffen deckte, innehalten. Die Antwort von Domenico Casagrande, dem Spezialisten für Ikonografie! Leider war es wieder nur ein Offert. Ähnlich wie Dottore del Rosso bot er an, eine Expertise zu schreiben, wobei er sogar nach Wien gekommen wäre.
Theresa formulierte eine kurze Absage und wollte gerade Scuros Buch schließen, das noch geöffnet neben ihrem Laptop lag, als ihr ein Porträt ins Auge stach. Der Mann mit dem langen, weißen Bart kam ihr bekannt vor. Sie las den Begleittext: ›Der Wissenschaftler Galileo Galilei‹.
Sie stutzte. Der hatte doch … Der sah genau … Der ähnelte einem Mann auf ihrem Bild! Sie sprang auf, um die ›Krönung‹ zu untersuchen. Oh, sie hing ja nicht mehr hier …
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