Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Ruinen der Thermen des Caracalla, inzwischen ein Unterschlupf für all jene, die entweder keine Wohnung hatten oder sich verstecken mussten. Wie Höllenschlunde wirkten die Loggien, aus denen Bäume und Gestrüpp wucherten. Die Tonnengewölbe der Decken waren größtenteils eingestürzt, und nur die breiten Bögen, die die Eckpfeiler verbanden, boten Schutz vor Regen und Schnee. Aber noch hielt der Sommer in Rom Hof, und niemand mochte an die kalten und feuchten Jahreszeiten denken.
Verlebte, magere Frauen, verschlagen blickende Diebe, allerlei zwielichtige Gestalten schüttelten teils energisch, teils lässig den Kopf, wenn Bramante ihnen die Zeichnung zeigte. Noch war das Konterfei im letzten Sonnenlicht gut zu sehen, aber niemand erkannte den Mann oder wollte ihn identifizieren. Erst als der Architekt einem jungen Falschspieler einen Scudo bot und ihm versicherte, dass der Porträtierte ebenso wie sein Bruder längst bei den Fischen ruhte, riet ihm dieser, am Triumphbogen des Titus unweit des Kolosseums nachzufragen. Dort habe er den Mann ein paar Mal gesehen. Bramante drückte dem jungen Mann ohne Dank das Geld in die Hand und eilte, von Ascanio gefolgt, zum Titusbogen.
Eine Gruppe von Gestalten, die sich dunkel gegen den Nachthimmel abzeichneten, war gerade dabei, ein Feuer zu entzünden. Zwei untersetzte Männer, auf deren Gesichtern sich ein freudiges Grinsen abzeichnete, rollten ein Fass mit Wein oder Branntwein heran. Bramante hielt einer zerlumpten Frau das Bild vor die Augen, doch die bekreuzigte sich bloß und wandte sich wortlos ab. Der Architekt kletterte auf einen bemoosten Granitquader, der irgendwann in den letzten tausend Jahren aus dem Bogen gebrochen war.
»Hört mich an«, rief er in die Runde und hob das Porträt hoch. »Dieser Mann hier auf dem Bild ist tot. Sein Bruder auch! Ihr habt nichts zu befürchten, könnt euch aber etwas verdienen. Ich suche ihre Auftraggeber. Kennt jemand von euch den Mann?«
Das Feuer zog Kraft aus dem Holz und warf seine gelben Flammen mutwillig in den Himmel. Der Schein ließ die armen Teufel, die sich hier versammelt hatten, gefährlicher, aber zugleich auch bedauernswerter aussehen. Lag das Leben der Menschen in Gottes Hand, so balancierte das ihre auf seiner Fingerkuppe. Niemand sagte etwas, sie beachteten Bramante gar nicht, es war, als ob er Luft sei.
Voller Ärger und Enttäuschung wollte sich der Architekt schon auf den Rückweg machen, als Ascanio ihn am Ärmel zog. Bramante sah ihn fragend an.
»Nicht so eilig, Messèr Donato. Diese Leute wissen etwas«, flüsterte ihm der Leibwächter mit einem zufriedenen Lächeln zu. »Die Gleichgültigkeit von denen, die nichts wissen, und von denen, die nichts wissen wollen, sieht ähnlich aus, ist aber nicht die gleiche.«
»So rede schon!«, drängte Bramante ungeduldig.
»Ganz einfach, die einen sind vollkommen teilnahmslos in ihrer Gleichgültigkeit und die anderen sind nervös. Und die Leute am Feuer hatten Mühe, ihrer Aufregung Herr zu werden.«
»Aus welchem Grund? Die bravi sind tot!«
»Aber ihr Auftraggeber nicht!«
»Du meinst, sie haben mehr Angst vor dem Auftraggeber als vor den Kerlen?«
Ascanio nickte. Seine Nasenflügel bewegten sich vor Jagdfieber wie ein Segel im Wind. »Er wird hierherkommen, da bin ich mir sicher.«
»Aber warum?«
»Habt Ihr den Ring noch?«, fragte Ascanio mit einem wissenden Lächeln.
Bramante dankte dem Schicksal für die feine Auffassungsgabe seines Leibwächters. Sie suchten sich ein Versteck in einem großen Gebüsch und hielten die ganze Nacht Wache. Ohne Erfolg. In der darauffolgenden Nacht begaben sie sich wieder in das Versteck. Nichts. Doch Bramante vertraute auf Ascanio, weil dessen Sicherheit seine immer wieder aufkommenden Zweifel besiegte.
In der dritten Nacht endlich betrat ein vornehm gekleideter Mann, der aussah wie ein Spanier, den Platz. Bramante wusste vom ersten Augenblick an, dass es der Gesuchte war. Als er die schwarz gekleidete Gestalt im gleißenden Mondlicht sah, fuhr ihm durch den Kopf: Da ist er, der Engel des Todes. Den gleichen Gedanken hatte er damals in Florenz in jenem Hausflur gehabt!
Er verließ das Versteck im Gebüsch hinter der Ruine und trat ans Feuer. Ein vierschrötiger Kerl machte nun die schwarze Gestalt auf den Architekten aufmerksam.
»Herr, da ist einer, der Euch sprechen will. Alfaron und Bruno sind übrigens tot.«
Mit einer jähen Bewegung wandte sich der Mann zu Bramante um. Der Schein des Feuers modellierte
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