Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
mit gütiger Freundlichkeit an. »Ich wohne oben in unserem Palazzo, halte mich aber auch oft hier im Kloster auf, wenn ich meditieren will. Oder in San Silvestro al Quirinale. Kommt mich besuchen, sooft Ihr wollt.« Sie verfügte über eine schriftliche Genehmigung des Papstes, dank der sie in den Klöstern übernachten durfte, auch wenn sie nicht zur Nonne geweiht war.
Michelangelo verneigte sich vor der Marchesa. Nachdem sie die Kirche verlassen hatte, kniete er nieder und dankte Gott für die Erleuchtung, für die Frau, die er ihm gesandt hatte.
55
Florenz, Anno Domini 1533
Nicht nur Michelangelo verstand die tiefere Botschaft seines Freskos – die beunruhigende Vision einer verzweifelten Kirche, die sich neu finden musste. Verwerfen und beginnen, darin lag der Schlüssel. Auch ein hagerer, fast glatzköpfiger Kleriker mit fanatischen Augen sah diesen Zusammenhang. Sein Gesicht wirkte durch den nach unten spitz zulaufenden Vollbart noch länger, als es ohnehin schon war. Die Lippen fest aufeinandergepresst, eilte er in großen Schritten die Treppe im vatikanischen Palast hinauf, um ins Studierzimmer des Papstes zu gelangen. Er wurde gleich vorgelassen. Da sie allein waren, verzichtete Papst Paul III. auf die üblichen Devotionsgesten.
»Nimm Platz, Gian Pietro.« Er wies ihm einen Platz auf dem geschwungenen Sofa zu und setzte sich neben ihn, den Oberkörper in die Ecke gelehnt und ihm zugewandt. »Was hat dich nur so aufgebracht, mein alter Freund?«
»Heiliger Vater, es ist Häresie!«
»Wovon sprichst du?«
»Das Fresko, das dieser Michelangelo an die Altarwand der Sixtinischen Kapelle gepinselt hat.«
»Wie kommst du darauf, dass das Ketzerei ist?«, fragte der Papst entrüstet.
»Die Heiligen und Märtyrer sind dargestellt als eine Bande von finsteren und kleinlichen Rechthabern. Und noch dazu sind sie alle nackt!« Das Entsetzen stand dem Kardinal ins Gesicht geschrieben.
Paul III. lächelte dünn. Seine Hakennase stach spitzer denn je aus seinem Gesicht. »Wir haben das Fresko gesehen, und Wir können keine Häresie darin entdecken. Die Nacktheit symbolisiert die Ewigkeit. Und die Heiligen haben doch ein ewiges Leben, Gian Pietro. Oder?«
Carafa spürte, dass er so nicht weiterkam. Er kannte Alessandro Farnese seit dem Tag, als ihn Giacomo Catalano, der später in der Peterskirche den Märtyrertod gestorben war, in die Erzbruderschaft aufgenommen hatte. Er wusste nur zu gut, dass sich in dem römischen Adligen Kunstsinn und Rechtgläubigkeit die Waage hielten. Bei aller Glaubensstrenge fehlte dem Römer doch die wahre Glaubenstiefe des Süditalieners, eines Neapolitaners wie ihm.
»Überall regt sich das Gezücht der Häresie. In ganz Italien! Sogar in Neapel!«, rief der Kardinal leidenschaftlich. »Ketzer wie Vermigli und Orchino durchstreifen unsere Länder wie Wölfe und reißen unsere Lämmer.«
»Dann tu etwas dagegen!«
»Aber was, Heiliger Vater? Bischöfe wie Morone lassen sie in ihren Diözesen gewähren. Und die Inquisition untersteht den Ortsbischöfen.«
»Und die Erzbruderschaft?«
»Ach, die Erzbruderschaft ist eine Vereinigung von gestern. Wir sind alle inzwischen Kardinäle. Warum sollten wir uns wie früher heimlich in den Katakomben treffen, wenn einer der Unseren sogar Papst ist. Das wäre doch mehr als albern!«
An dem listigen Lächeln in den Augen des Papstes erkannte Carafa, dass dieser ihn durchschaute.
»Nur zu!«, sagte Paul III. wohlwollend.
»Wir sollten aus der geheimen Erzbruderschaft eine öffentliche Einrichtung schaffen, ein scharfes Schwert für den Glaubenskampf!«
»Was schwebt dir vor?« Die Frage war rhetorisch, denn der Vorschlag sollte vom Kardinal kommen, damit der Stellvertreter Christi die Sache wohlwollend bedenken konnte.
»Eine universelle und allgemeine Inquisition als Zentralbehörde in Rom, die für alle Diözesen zuständig ist und über den Bischöfen steht, die bedingungslos die Lehrautorität des Heiligen Vaters gegen die vielen Ketzer in unserer Kirche durchsetzt.«
»Eine Kardinalskongregation?«
Carafas ganzes süditalienisches Temperament schoss aus seinen Augen. »Und die verlässlichen Mitglieder des heiligen Kollegiums kennt Ihr, Euer Heiligkeit, es sind die Brüder der Archiconfraternita de Perfecti in Segreto !«
Paul III. legte nachdenklich die Hand an die Wange. »Ich will es mir durch den Kopf gehen lassen, Gian Pietro. Aber Michelangelos Fresko ist über jeden Zweifel erhaben! Er war, ist und wird immer ein guter
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