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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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nachdrücklich in Richtung Ausgang. »Lebt wohl, Gentlemen.«

41
    Zielstrebig schob sich Daniel Gascoyne durch die dichter werdende Menschenmenge, die dem Tyburn-Hügel zustrebte. Die Maisonne stand bereits hoch am wolkenlosen Himmel, und das Gedränge der Schaulustigen machte ein Durchkommen fast unmöglich. Ganz London schien auf den Beinen zu sein. Daniel musste sich mit sanfter Gewalt Platz machen und das ein oder andere Mal seine Ellbogen gebrauchen, um sich bis zum Dreibein vorzukämpfen.
    Schon erklang der Ruf »Hüte runter!« und rollte wie eine Woge durch die Menge. Rasch breitete sich eine unheimliche Stille aus, als habe ein zorniger Gott die Menschen plötzlich mit Stummheit geschlagen. Als der Stadtmarschall und der Untersheriff an der Spitze der Prozession in Sichtweite kamen, schwoll ein wilder Jubel an. Daniel konnte die Namen »Blueskin!« und »Jack Sheppard!« aus dem Gebrüll heraushören.
    Inzwischen waren auch die Berittenen und die Konstabler mit ihren Amtsstäben zu sehen. Ungeduldig reckten die Leute die Köpfe. Daniel wurde von seinen Nachbarn angestoßen und musste sich energisch zur Wehr setzen, um nicht in einem Strudel wirbelnder Arme und schlagender Fäuste unterzugehen.
    Vor dem Leiterwagen, der den Konstablern folgte, gingen einige junge Spitzbuben, die dem Volk in ironischem Ton zuriefen: »Seht, in dem Wagen sitzt unser Vater! Jubelt, ihr Leute, auf dass er einen schnellen Tod am Galgen finden möge!«
    Schließlich erreichte der Leiterwagen das Dreibein und kam knirschend zum Stehen. Auf der Ladefläche saßen vier Männer mit dem Rücken zum Richtplatz auf ihren Särgen. Einer von ihnen war Jonathan Wild, in einen Schlafrock aus Callimanco gekleidet, den kahlen Schädel von einem Tuch bedeckt. In den Händen hielt er ein Buch, und in seinen Augen standen Tränen. Ein schmaler Faden frischen Blutes rann aus einer Wunde an seiner Stirn, wo ihn ein aus der Menge geschleuderter Stein getroffen hatte.
    Ein Gefühl tiefer Erleichterung erfüllte Daniel. Bis zuletzt hatte er befürchtet, dass es dem Diebesfänger doch noch gelingen könnte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Die Befragung Catherine Stathams durch die Friedensrichter hatte ans Licht gebracht, dass der Spitzenhändlerin eine Schachtel mit fünfzig Yards feinster Spitze im Wert von vierzig Pfund gestohlen worden war. Daraufhin hatte sie Jonathan Wild mit der Wiederbeschaffung beauftragt, was dieser ihr ohne Zögern zusagte. Entschlossen hatten sich die Magistrate darangemacht, die Diebe aufzuspüren, was ihnen schließlich auch gelang. Tatsächlich hatte Wild sie zu dem Diebstahl angestiftet und danach, entgegen seiner Gewohnheit, die Spitze in Empfang genommen. Die Magistrate überredeten die Diebe, gegen Wild auszusagen. Allerdings stellten sie sich bei der Prozessvorbereitung nicht sehr geschickt an. Die erste Anklage wegen Ladendiebstahls scheiterte, da Wild das Geschäft der Spitzenhändlerin nachweislich nie betreten, sondern die Langfinger nur dorthin geführt und an einer Ecke Schmiere gestanden hatte. Doch die Friedensrichter gaben sich nicht so leicht geschlagen und zogen stattdessen eine zweite Anklage wegen Hehlerei aus dem Hut. Diesmal wurde Jonathan Wild für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Es war offensichtlich, dass sich die Justiz gegen ihn verschworen hatte und entschlossen war, ihn hängen zu sehen. Jeder andere wäre in einem Fall wie diesem lediglich ausgepeitscht oder deportiert worden. Als dem Diebesfänger klarwurde, dass er in der Falle saß, versuchte er, sich eine Begnadigung zu erkaufen, indem er behauptete, vernichtende Informationen über hochgestellte Personen zu besitzen. Er spielte um einen hohen Einsatz – und verlor. Niemand war mehr bereit, ihm zuzuhören.
    Eine Weile standen der Diebesfänger und seine Leidensgenossen mit dem Strick um den Hals auf der Ladefläche des Leiterwagens unter dem Dreibein. Die Zuschauer warteten auf eine Rede, doch Wild, der vor der Hinrichtung Laudanum genommen hatte, war nicht dazu imstande, das Wort zu ergreifen. Schließlich wurde die Menge unruhig und verlangte, dass der Henker seine Pflicht tun sollte. Richard Arnet, der einen Aufruhr fürchtete, beeilte sich, das Zeichen zu geben. Als der Wagen anfuhr und die vier Verurteilten in der Luft baumeln ließ, stieg erneut ein ohrenbetäubender Jubel aus Hunderten von Kehlen auf. Nur Daniel betrachtete das Schauspiel schweigend. Wild, dessen Hände nicht gefesselt waren, versuchte, sich an

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