Die Kurtisane des Teufels
anständiger Handwerker, ein begabter Künstler, der in London sein Glück machen wollte …«
»Wovon redet Ihr?«, fragte Jonathan Wild verwirrt. Doch in seinen Zügen zeichnete sich allmähliches Begreifen ab.
»Ihr habt mir den Bruder genommen!«, klagte sie ihn an. »Er war der Einzige, der mir nach dem Tod meiner Eltern noch geblieben war …«
»Ihr seid Catherine Marshall?«, rief er entsetzt. Sein Gesicht erblasste, als er an den Meuchelmörder dachte, den er ihr vor sechs Jahren auf den Hals gehetzt hatte. »Das also ist dein Spiel, Schlampe«, knurrte Wild. »Du schleichst dich hier ein und versuchst, mich auszuhorchen.«
»Ich werde nicht ruhen, bis ich Euch am Galgen baumeln sehe«, sagte Kitty hasserfüllt.
»Freu dich nicht zu früh, Metze!«
Trotz seiner Behinderung durch die Gicht stürzte er sich blitzschnell auf sie. Seine kräftigen Hände legten sich wie Eisenringe um ihren Hals und drückten zu. Kitty konnte nicht einmal mehr schreien. Als sie zurückwich, stieß sie mit den Beinen gegen die Kante des massiven Tisches, der ihrem Gewicht jedoch standhielt und sich keinen Zoll vom Fleck rührte. Sie wehrte sich aus Leibeskräften, umklammerte Wilds Hände, um sie von ihrer Kehle zu lösen, doch seine Finger hatten sich wie Klauen um ihren Hals gekrallt und drückten immer stärker zu. Verzweifelt trat sie nach ihm, verlor dadurch aber den Halt. Geistesgegenwärtig nutzte der Diebesfänger ihre Unachtsamkeit und warf sie rücklings auf die Tischplatte, ohne den Griff um ihre Kehle zu lockern. Nun war sie ihm wehrlos ausgeliefert. Schon begannen bunte Lichter vor ihren Augen aufzuglühen. In Todesangst rang sie nach Luft, doch kein Atemzug erreichte ihre Lunge … Sie versuchte zu schreien, doch kein Ton kam über ihre Lippen …
Bald erlahmten ihre Kräfte. Hinter den dichter fallenden schwarzen Schleiern sah sie die triumphierend grinsende Fratze des Teufels. An seiner Schläfe ließ die Anstrengung eine Ader anschwellen, während er das Leben aus ihr herauspresste.
Mit einem Knall wurde die Tür aufgeworfen, Schritte hallten auf dem Steinboden wider, und schattenhafte Gestalten bewegten sich durch den dunklen Nebel. Kitty fiel in einen schwarzen Abgrund.
Als sie die Augen aufschlug, sah sie noch immer ein Gesicht nah über dem ihren. In Panik schrie sie auf.
»Schon gut. Es ist vorbei. Beruhigt Euch, Madam«, sagte eine sanfte Stimme.
Kittys Blick klärte sich, und sie erkannte Stephen Robinson.
»Könnt Ihr aufstehen?«
Sie nickte schwach. Ihre Hand fuhr an ihren schmerzenden Hals. Mühsam rang sie nach Luft. Jeder Atemzug schmerzte. Auf Robinsons Arm gestützt, kam sie vorsichtig auf die Beine. Sie hatte noch immer auf der Tischplatte gelegen. Ein krampfhafter Husten schüttelte sie und erschwerte das Atmen.
»Es war nah dran«, sagte der junge Advokat vorwurfsvoll. »Ich hörte, dass etwas nicht stimmte, aber bis ich die Treppe hinuntergelaufen war, war es fast schon zu spät. Was habt Ihr Euch dabei gedacht, Euch Wild zu erkennen zu geben? Närrin! Wolltet Ihr, dass man ihn des Mordes an Euch verurteilt?«
Unsicher machte Kitty einen Schritt vorwärts. Ihre Knie schienen aus Butter zu bestehen. Jonathan Wild saß auf der Liegestatt und starrte die Wand an. Die Friedensrichter Beaver und Street standen neben ihm. Als Kitty an Robinsons Arm die Zelle verließ, folgten sie ihnen.
»Das war eine gefährliche Tollkühnheit, Madam«, sagte Beaver. In seiner Stimme mischten sich Anerkennung und Tadel. »Um ein Haar wäre es um Euch geschehen gewesen.«
»Ich hoffe, es war nicht umsonst«, antwortete Kitty krächzend. »Habt Ihr erfahren, was Ihr wissen wolltet?«
»Ich denke schon«, bestätigte Leonhard Street. »Es war deutlich zu vernehmen, dass Mr. Wild die Erwähnung des Namens Statham unangenehm war. Wir werden uns sofort auf den Weg machen und die Spitzenhändlerin befragen. Möglicherweise hält sie den entscheidenden Hinweis in Händen. Ihr habt uns sehr geholfen, Madam.«
»Mr. Gascoynes Begnadigung ist bereits aufgesetzt«, fügte Joseph Beaver hinzu. »Sobald Seine Majestät unterschrieben hat, lasse ich Euch eine Abschrift des Dokuments zukommen. Euer Gatte hat fortan nichts mehr von der Justiz zu befürchten.«
»Wir verdanken euch viel, meine Herren«, sagte Kitty erleichtert. »Wenn ihr euch nicht entschieden hättet, gegen Jonathan Wild vorzugehen …«
»Ihr solltet Euch jetzt ausruhen, Madam«, schnitt Stephen Robinson ihr das Wort ab und dirigierte sie
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