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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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hängen«, bemerkte Kitty, als sie unten auf der Straße standen.
    »Sie wird darüber hinwegkommen«, entgegnete der junge Mann mit einem Schulterzucken.
    Sie überquerten die Straße, auf der bereits ein reger Verkehr herrschte. Das Mädchen zweifelte, ob sie sich jemals an das quirlige Treiben der Großstadt gewöhnen würde. Heimweh überkam sie und machte ihr das Herz schwer. Vielleicht sollte sie doch nach Stamford zurückkehren. Aber auch dort gab es niemanden, zu dem sie sich flüchten konnte. Sie war nun ganz allein.
    Sie hatten nicht weit zu gehen. Einige Häuserblocks von Susannahs Kammer entfernt blieb Daniel vor einem Laden stehen, über dessen Tür eine rot-weiß gestreifte Stange angebracht war, das Zunftzeichen der Wundärzte. Das Innere der Offizin glich dem Labor eines Alchimisten. Staunend sah Kitty sich um. Sie hatte noch nie eine Chirurgenstube betreten.
    An der Holzdecke hingen polierte Aderlassbecken aus Messing und Zinn, die im Licht der Morgensonne glänzten. Im Fenster waren Aderlassbinden, ein Bronzemörser, Lanzetten, Knochensägen, Scheren, Zangen, Bohrer und andere chirurgische Instrumente zur Schau gestellt. An einer Wand stand ein Schrank, dessen zahllose kleine Schubladen offenbar Arzneimittel enthielten, und auf einem Bord reihten sich Salbentöpfe aneinander, auf denen lateinische Bezeichnungen standen. Es gab verschiedene Schemel, Stühle und einen fleckigen großen Holztisch, unter dem eine Kiste mit Sägespänen stand. Außerdem entdeckte die junge Frau ein tragbares Glutpfännchen mit Brenneisen aus Messing, mehrere Glasgefäße mit Blutegeln und einen Tisch, auf dem sich Schröpfköpfe stapelten. Das Erstaunlichste aber waren die seltsamen Ausstellungsstücke, mit denen der Wundarzt seine Offizin gefüllt hatte. Zwischen den Aderlassbecken an der Decke hing ein an dünnen Fäden befestigtes, ausgestopftes Krokodil, das gefährlich über ihren Köpfen schwankte. Ein präparierter Vogel und ein gepanzertes Tier, das Kitty nicht kannte, leisteten der Echse Gesellschaft, während auf einem Schrank das von Drähten zusammengehaltene Skelett eines Affen stand, der scheinbar hochmütig auf einen menschlichen Schädel herabsah.
    »Einen gesegneten Morgen wünsche ich«, begrüßte der in einen dunkelblauen Rock, samtene Weste und schulterlange Perücke gekleidete Wundarzt die Besucher. »Ich hoffe, es geht Euch gut, Mr. Gascoyne. Oder macht Euch die Wunde von dem Degenhieb noch zu schaffen?«
    »Nein.« Daniel winkte ab. »Ihr habt wie immer vorzügliche Arbeit geleistet. Meine Begleiterin benötigt Eure Hilfe, Meister Hearne.«
    Der Wundarzt, der in den späten Vierzigern sein musste, ließ den Blick prüfend über Kitty gleiten, deren aufgelöstes blondes Haar unter der verrutschten Leinenhaube hervorquoll. Auch den Strohhut hatte sie bei der Flucht vor dem Messerstecher verloren.
    »So ein hübsches junges Ding«, rief Meister Hearne und faltete tragisch die Hände. »Es sind doch nicht die ›Franzosen‹, hoffe ich.«
    Kitty erriet, dass er die Pocken meinte, eine schwere Geschlechtskrankheit, und errötete, denn ihr wurde klar, dass er sie für ein Freudenmädchen hielt.
    »Nein, ein Strolch hat sie gestern Abend überfallen und auf sie eingestochen«, setzte Daniel den Chirurgen ins Bild. »Zum Glück ist es keine tiefe Wunde, trotzdem solltet Ihr sie Euch ansehen.«
    »Nun, dann setzt Euch erst einmal, Herzchen«, sagte Meister Hearne freundlich und führte sie zu einem Stuhl. Ehe Kitty protestieren konnte, hatten seine flinken Hände ihr Daniels Rock und ihr Mieder ausgezogen und das Leinenhemd über ihre Schultern geschoben, so dass sie nackt bis zu den Lenden vor ihnen saß. Rasch bedeckte sie ihre Blöße mit den Armen.
    »Zier dich nicht so, Kindchen«, meinte der Wundarzt beschwichtigend. »Ich habe schon unzählige Liebesäpfel gesehen.«
    Er zog sich einen Schemel heran, schob ihre Arme auseinander und begutachtete die Wunde in Kittys Seite, während das Mädchen vor Scham verging.
    »Na, ein paar Stiche müssen’s schon sein«, murmelte Meister Hearne. »Da hat der Herr seine schützende Hand über dich gehalten. Ein paar Zoll höher, und es wäre nicht so glimpflich ausgegangen.«
    Er warf Daniel einen schrägen Blick zu. »Der Bursche, der die Kleine mit dem Messer traktiert hat, meinte es ernst. Wem ist sie denn auf die Füße getreten?«
    »Dem ›aufrichtigen‹ Jonathan«, erwiderte Daniel.
    Kitty hatte den Eindruck, als erbleiche der Wundarzt ein wenig.

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