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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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hätte sie sich bei dem schneidenden Wind, der durch die Gasse pfiff, nicht aus der Kammer getraut. Der Schrei einer Hökerin, die Austern anpries, hatte sie hinausgelockt. Zusammen mit dem Rest des Brotlaibs, der in ein Tuch eingeschlagen an der Decke hing, fern von den Mäusen, würden die Muscheln ein frugales, aber billiges Abendessen für sie und Ann abgeben. Denn von der Innereienpastete, von der sie die letzten zwei Wochen gelebt hatten, war nur noch der unbekömmliche äußere Teig übrig, der den Inhalt so lange frisch gehalten hatte.
    Vor dem Haus begegnete ihr die Frau des Flickschusters, die Würste für ihre Familie zum Abendbrot gekauft hatte. Unwillkürlich wunderte sich Kitty, wie diese das Mahl ohne Feuerstelle zubereiten wollte. Vielleicht erlaubte ihr die Hauswirtin, den Herd in der Küche zu benutzen, die gewöhnlich abgeschlossen war.
    Als Kitty die Austern erstanden hatte, kehrte sie zum Haus zurück. Rogers, der Schreinergeselle, der im zweiten Stock die vordere Kammer bewohnte, kam gerade von der Bierschenke zurück, in der er sich jeden Abend eine warme Mahlzeit auf einem Tablett holte. Höflich hielt er ihr die Tür auf, kein leichtes Unterfangen, denn er musste dabei das schwere Tablett mit dem Teller voller duftendem Essen und dem mit Ale gefüllten Zinnhumpen in einer Hand halten.
    Wenig später kam auch Ann nach Hause. Sie hatte die fertig genähten Hemden ausgeliefert und brachte neues Leintuch und Faden mit, den sie aus eigener Tasche bezahlen musste, ebenso wie die Nadeln, falls sie eine zerbrach oder verlor.
    »Ich habe Austern gekauft«, teilte Kitty ihr mit.
    »Gut, ich bin hungrig«, erwiderte Ann.
    Sie sah müde aus. Am Morgen hatte sie zudem noch in einem Haus bei der Wäsche ausgeholfen. Sie hatten gerade gegessen, als Kitty beim Aufstehen einen plötzlichen Schmerz verspürte, der ihren Leib durchfuhr. Mit einem leisen Aufschrei krümmte sie sich zusammen. Der Zinnteller, den sie in der Hand gehalten hatte, entglitt ihren Fingern und fiel scheppernd zu Boden.
    Erschrocken sprang Ann vom Bettrand auf. »Was ist?«
    »Ich weiß nicht«, stieß Kitty ängstlich hervor, die Hand auf ihren gewölbten Bauch gepresst. »Einen solchen Schmerz habe ich noch nie erlebt.«
    Ann eilte an ihre Seite und stützte sie. »Vielleicht wird es besser, wenn du dich bewegst.«
    Kitty ließ sich ein paar Schritte führen. Schweiß trat ihr auf die Stirn. Dann kehrte der Schmerz zurück, und sie stöhnte laut auf.
    »Es sind die Wehen«, keuchte sie. »Das Kind … es kommt.«
    »Herr im Himmel!«, rief Ann entsetzt. »Ich hole Mistress Symons.«
    Sie half Kitty, sich aufs Bett zu setzen, und rannte dann die Stiege hinunter. Nach einer Weile war die ärgerliche Stimme der Hauswirtin von unten zu hören. Die abgenutzten Stufen knarrten unter ihren hastigen Schritten. Noch unter dem Eindruck der verebbenden Wehe sah Kitty hilfesuchend zu ihr auf.
    »Bist du sicher, Mädchen, dass die Wehen eingesetzt haben?«, fragte Mistress Symons, während sie die Schwangere besorgt musterte.
    »Ich glaube schon«, stammelte Kitty.
    »Du kannst unmöglich hierbleiben«, sagte die Hauswirtin entschieden.
    »Ihr wollt mich auf die Straße setzen?«, fragte Kitty ungläubig. Tränen sammelten sich in ihren Augen.
    »Natürlich nicht«, widersprach Mistress Symons. »Aber hier kann dir niemand bei der Niederkunft beistehen. Die Krankenhäuser nehmen keine Gebärenden auf. Du musst ins Arbeitshaus gehen.«
    »Ja, das ist das Beste«, stimmte Ann zu. »Dort wird man sich um dich kümmern. Da gibt es auch eine Hebamme.«
    »Ich besorge eine Mietkutsche«, erklärte die Hauswirtin und eilte die Treppe hinunter.
    Fürsorglich hängte Ann der Wöchnerin den warmen Wollumhang um die Schultern und stützte sie auf dem langen Weg ins Erdgeschoss. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis Mistress Symons um die Ecke kam, gefolgt von einem Hackney, dessen Kutscher sie ungeduldig weiterwinkte. Ann half Kitty beim Einsteigen und setzte sich neben sie.
    »Zum Arbeitshaus auf der Bishopsgate Street«, rief die Hauswirtin dem Kutscher zu, der mit einem Nicken die Peitsche schwang.
    Die Fahrt wurde für Kitty zur Qual. Es ging durch die halbe Stadt, den Holborn entlang, durch das Newgate, an der St.-Pauls-Kathedrale vorbei, dann über die Cheapside, die Poultry und den Cornhill auf die Bishopsgate Street. Die Wöchnerin nahm nichts mehr um sich herum wahr, für sie gab es nur noch den immer wiederkehrenden Schmerz, der ihren Körper

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