Die Kurtisane des Teufels
zerriss. Vielleicht würde sie sterben und so dem Leid und dem Elend entfliehen, in den Daniels Verrat sie gestürzt hatte. Nachdem sie ein weiteres Stadttor, das Bishopsgate, durchquert hatten, wurde der Hackney endlich langsamer und fuhr schließlich in einen Hof ein. Zur Linken erstreckte sich ein etwa vierhundert Fuß langes, drei Stockwerke hohes Backsteingebäude, das wie ein Gefängnis aussah.
Ann stützte Kitty, die vor Schmerzen schrie, beim Aussteigen.
»Hast du Geld für die Fahrt?«, fragte sie.
Kitty nickte, hatte jedoch nicht die Kraft, nach den Münzen zu kramen, und so tastete sich Ann in ihre unter dem Rock getragenen Stofftaschen vor. Als sie den ungeduldig wartenden Kutscher bezahlt hatten und sich dem Eingang zum Arbeitshaus näherten, kam ihnen der Pförtner entgegen.
Nachdem er die Wöchnerin kritisch gemustert hatte, fragte er kühl: »Habt Ihr ein Empfehlungsschreiben von den Armenpflegern Eures Sprengels?«
Ann funkelte den Pförtner entrüstet an. »Nein, hat sie nicht. Aber Ihr seht doch, wie schlecht es ihr geht.«
»Ohne Empfehlungsschreiben kann ich Euch leider keinen Einlass gewähren«, meinte der Pförtner abweisend.
»Was versteht Ihr schon davon!«, fuhr Ann ihn an. »Holt sofort die Leiterin her, sonst werdet Ihr mir helfen müssen, dieses Kind auf die Welt zu bringen. Habt Ihr verstanden?«
Verunsichert sah sich der Pförtner nach Hilfe um, und da keine kam, hob er beschwichtigend die Hände und entfernte sich. »Also gut, ich hole sie. Wartet hier!«
Kitty wurde von Schluchzen geschüttelt. Wie es schien, würde sie ihr Kind auf diesem Hof im Schneematsch gebären müssen. Trotz Anns Gegenwart fühlte sie sich allein und hilflos. Kurze Zeit später eilte eine beleibte Frau mit säuberlich gebügelter Haube und Schürze herbei. Ihr selbstbewusstes Auftreten wies sie als Leiterin der Frauenabteilung aus.
»Was geht hier vor?«, fragte sie streng. »Wisst Ihr denn nicht, dass Ihr zuerst die Armenpfleger um ein Empfehlungsschreiben ersuchen müsst, bevor Ihr Aufnahme findet? Unsere Plätze sind begrenzt.«
Unter dem Ansturm einer besonders starken Wehe krümmte sich Kitty schreiend zusammen, so dass Ann sie kaum noch halten konnte. Die Leiterin der Frauenabteilung konnte nicht anders, als der Kreißenden unter die Arme zu greifen, um sie aufzufangen.
»Na, das habt Ihr Euch gut ausgerechnet«, rief sie vorwurfsvoll. »Kommt im letzten Moment hier an, damit man Euch nicht abweisen kann.« An Ann gewandt, sagte sie seufzend: »Ihr könnt sie mir überlassen. Ich kümmere mich um sie.«
Mit Hilfe des Pförtners, der sich mittlerweile wieder eingefunden hatte, brachte die kräftige Frau Kitty in die Entbindungsabteilung und schickte nach der Hebamme.
Obgleich es ihr erstes Kind war, verlief die Geburt schnell und ohne Zwischenfälle. Am Abend hielt sie ein kleines Mädchen im Arm, dessen Anblick Kitty ein wenig über die ausgestandenen Schmerzen hinwegtröstete. Dieses kleine Bündel Mensch war das Einzige, was ihr von Daniel Gascoyne blieb.
11
Nach einer Woche Aufenthalt im Arbeitshaus wurde Kitty vor einen Friedensrichter zitiert, der ihr eine Reihe von Fragen nach ihrer Herkunft stellte. Er wollte wissen, wo sie geboren wurde und wann sie nach London gekommen war, ob sie jemals in Diensten gestanden hatte und ob ihr Kind ein Bastard sei.
»Meine Tochter ist nicht unehelich«, antwortete Kitty bestimmt und zeigte ihren Ehering vor. »Ihr Vater und ich sind verheiratet.«
»Wie heißt Euer Gatte, und wo hält er sich auf?«, erkundigte sich der Magistrat eifrig, in der Hoffnung, die Befragung rasch hinter sich bringen zu können.
»Sein Name ist Daniel Gascoyne. Er hat mich sitzenlassen und ist verschwunden«, erwiderte Kitty beschämt.
»Das ist bedauerlich«, meinte der Friedensrichter enttäuscht und kratzte sich unter der weißen Rosshaarperücke. »Woher stammt Euer Gatte?«
»Aus Southampton«, entgegnete Kitty, ohne den Sinn der Frage zu begreifen. »Doch er hat dort keine Familie mehr. Seine Eltern sind tot.«
»Das tut nichts«, bemerkte der Magistrat und nickte seinem Schreiber auffordernd zu, der daraufhin begann, ein Dokument aufzusetzen.
An Kitty gewandt, fragte der Friedensrichter, dem es erneut unter der Perücke juckte: »Seid Ihr mit dem Armenpflegegesetz von 1661 vertraut? Dieses Gesetz besagt, dass jeder Einwohner von England und Wales seinen gesetzlichen Wohnsitz in dem Pfarrsprengel hat, in dem er entweder geboren wurde, eine Lehre macht, in
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