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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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lassen«, sagte sie abfällig. »Das kleine Luder hatte es faustdick hinter den Ohren.«
    Bitterkeit stieg in Kittys Herz. Konnte sie denn niemandem trauen? In der Kiste befand sich alles, was sie noch besessen hatte: ein zweiter Rock, ein Unterrock, zwei Hemden und eine Schürze. Nur ihr Geld trug sie stets am Körper. Doch auch davon war nicht mehr viel übrig.
    »Ann und du haben doch immer zusammengegluckt«, erinnerte sich die Hauswirtin. »Vermutlich habt ihr das gemeinsam ausgeheckt und trefft euch irgendwo, um den Erlös aus dem Diebesgut zu teilen.« Mistress Symons’ Blick wurde drohend. »Sicher hast du noch Geld. Zahl mir auf der Stelle Anns Mietzins und eine Entschädigung für die Sachen, die sie gestohlen hat, oder ich hole den Konstabler und lasse dich verhaften!«
    »Was?«, rief Kitty empört. »Ich denke nicht daran. Sie hat auch mich bestohlen!«
    »Gib mir das Geld!«, zischte die Hauswirtin und versuchte, ihre Hand in den Schlitz von Kittys Rock zu führen, durch den man die Taschen erreichen konnte, die diese um den Leib gebunden hatte. Energisch schlug das Mädchen Mistress Symons’ Hand herunter und wich vor ihr zurück. Erbitterung und Zorn ließen ihr das Blut zu Kopf steigen und verdrängten den letzten Rest an Schüchternheit, der ihr noch geblieben war.
    »Wagt es nicht, noch einmal Hand an mich zu legen, sonst kratze ich Euch die Augen aus!«, schrie sie.
    Langsam trat Kitty in die Gasse zurück. An ihrer Brust spürte sie die unruhigen Bewegungen ihrer Tochter. Sie warf Mistress Symons noch einen letzten Blick zu, wie um sie zu warnen, ihr nicht zu folgen. Dann tauchte sie in das Labyrinth der schmutzigen grauen Gassen von St. Giles ein.
    London erstarrte in der Kälte einer frostigen Nacht. Der Frühling wollte sich nicht einstellen. In den Hausruinen drängten sich die Bettler und Obdachlosen zusammen und verbrannten Türen, Treppengeländer und Wandvertäfelungen in den Kaminen. Die Läden, die Gin verkauften, machten ein gutes Geschäft, denn für manche arme Seele war der Alkohol die einzige Wärmequelle. Selbst die Nachtwächter, deren Pflicht es eigentlich gewesen wäre, die Besitzer wegen der Verletzung der Ladenschlussgesetze zu melden, ließen sich mit einem Becher Genever bestechen und kehrten dann müde in ihre Stände zurück, um dort ein Nickerchen zu machen.
    Ab fünf Uhr morgens begannen sich die Gesellen und Lehrjungen der Bäcker zu regen. Der Ofen musste angeheizt, die Backstube ausgewischt, der Teig geknetet werden. Hinter den geschlossenen Läden der Häuser verließen die Menschen ihre warmen Betten und begannen ihr Tagwerk. Die ersten unruhigen Lichter glommen hinter den Fensterscheiben auf, wie warme goldene Sterne in einer kalten, düsteren Nacht. Die Kirchenglocken läuteten zum Frühgottesdienst. Die armen Leute, die nichts anderes ihr Eigen nannten als einen Reisigbesen, machten sich auf den Weg zu Kirchen und Kapellen, um dort die Eingänge zu fegen und sich damit ein Zubrot zu verdienen. Bettler, die einen festen Platz hatten, ließen sich auf mitgebrachten Strohschütten nieder und warteten auf die ersten Kirchgänger. Zu ihnen gesellten sich bald die Schuhputzer, die meisten von ihnen noch Kinder.
    Die ganze Nacht war Kitty ziellos durch die Gassen gewandert. Nachdem sie mehr als ein Mal von den Menschen, denen sie Vertrauen entgegengebracht hatte, enttäuscht worden war, begegnete sie nun ihrer Umgebung mit wachsender Vorsicht. Sie beobachtete die Leute mit weitaus größerer Aufmerksamkeit als früher und lernte schnell, ihre Absichten einzuschätzen. In den frühen Morgenstunden fand sie sich auf der Großen Piazza von Covent Garden wieder, ohne zu wissen, welcher Instinkt sie hergeführt hatte. Noch war auf dem Obst- und Gemüsemarkt nicht viel Betrieb. Die Händler trafen gerade erst ein. In einer abgestellten Sänfte schlief einer der Träger, während der andere stampfend auf und ab ging und die Arme um den Körper schlug. Lehrknaben, die ihr Meister ausgeschickt hatte, eine Besorgung zu erledigen, eilten vorbei. Schankjungen machten ihre Runde durch die Nachbarschaft und sammelten die Zinnhumpen ein, in denen sich so mancher Gast am Abend zuvor sein Ale mit heimgenommen hatte.
    Kitty sah, wie ein Lehrling, der für den Meister oder seine Frau offenbar eine Kanne Milch geholt hatte, einige große Schlucke davon nahm und den Krug heimlich an einer Wasserpumpe auffüllte. Mägde und Stubenmädchen, die mit Körben oder Taschen über dem Arm zum

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