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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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Einkaufen geschickt worden waren, standen in Gruppen zusammen und tratschten über ihre Herrschaft.
    In der Ferne sah Kitty Licht in den Fenstern von »Tom Kings Kaffeehaus«. Immer wieder öffnete sich die Tür und entließ grölende Zecher in die kalte Märzluft. Sie und die Lastenträger, die ihren Morgenkaffee trinken wollten, gaben sich die Klinke in die Hand. Die berüchtigte Kaffeestube schien nie ihre Pforten zu schließen.
    Erschöpft und durchgefroren näherte sich Kitty den Handwerkerständen, die zum Großteil noch verlassen waren. Bei einer Bude jedoch war die Tür nur angelehnt. Da die junge Frau sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, wollte sie den Inhaber fragen, ob er ihr erlaubte, sich für eine Weile ins Innere zu setzen. Dabei konnte sie auch gleich ihre Tochter stillen, die vor Hunger greinte.
    Im Innern der Krambude herrschte Finsternis.
    »Hallo!«, rief Kitty leise. »Ist jemand da?«
    Als keine Antwort kam, zögerte sie einen Moment lang. Doch bald verscheuchte die Müdigkeit jegliche Skrupel, und sie trat ein. Als sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, bemerkte sie eine Gestalt, die auf einer Bank an einem erloschenen kleinen Ofen saß.
    »Entschuldigt mein Eindringen«, begann Kitty erschrocken. »Ich wollte Euch nicht stören, aber ich bin die ganze Nacht gelaufen …«
    Beklommen hielt sie inne. Trotz der Dunkelheit konnte sie ihren warmen Atem in der Kälte weiß aufsteigen sehen. Doch der Mann, der zusammengesunken vor ihr saß, atmete nicht mehr. Mechanisch streckte sie den Arm aus und berührte mit den Fingerspitzen seinen Handrücken. Die Haut war kalt wie Eis.
    Mit einem leisen Aufschrei wich Kitty zurück und huschte durch die Tür ins Freie. Dabei stieß sie mit einer kräftig gebauten Frau zusammen, die sie unsanft am Ärmel packte.
    »Heh, was machst du in Petes Bude, Herzchen?«, rief sie drohend. »Wolltest ihn wohl bestehlen!«
    Mit entsetzter Miene starrte Kitty die Frau an, deren Gesicht bis unter die Augen mit einem Schal vermummt war. Sie trug mehrere Kleidungsstücke übereinander, von denen jedes zerschlissen war.
    »Nein, ich … lieber Gott … er ist tot«, stammelte die junge Mutter bestürzt.
    »Was sagst du da?«
    Die kräftige Frau ließ sie los und trat in das Innere des Verkaufstandes. Kurz darauf kam sie wieder heraus und murmelte: »Nun hat’s ihn erwischt, den guten Pete. Hat wenig Glück gehabt, der Arme. Seine Frau und seine Kinder sind an den Pocken gestorben, weißt du. Seitdem hatte er nicht mehr viel Freude am Leben. Und in seinem Metier war er auch nicht gerade der Geschickteste. Ein Flickschuster mit steifen Fingern verdient nicht viel. Hatte wohl nicht mehr genug Geld für die Kohle. So ein Jammer.«
    Die Frau musterte Kitty prüfend. »Du wolltest dich bei ihm ein wenig ausruhen, hab ich recht? Na, geh nur hinein. Er beißt ja nicht. Und er hätte sicher nichts dagegen. War eine gute Seele, unser Pete.«
    Zögernd folgte Kitty der Einladung und setzte sich neben den Toten auf die Bank. Ihre Erschöpfung war so groß, dass sie fast augenblicklich von wellenartiger Müdigkeit überschwemmt wurde. Mit halbem Auge sah sie, wie die Frau hinkend einen Handwagen näher an den Eingang schob und sich dann mit einem Seufzen daraufsinken ließ.
    »Dein Kind hat Hunger«, bemerkte sie, ohne Kitty anzublicken. »Du solltest ihm die Brust geben, bevor es anfängt zu schreien. Lass dich von mir nicht stören.«
    Mit ihrer in Lumpen gehüllten Hand kramte sie in dem Handwagen nach einer Flasche, zog den Stopfen heraus und nahm einen kräftigen Schluck. Dabei entblößte der Schal ihr Gesicht. Kitty erschrak und senkte unbehaglich die Augen. Wo die Nase hätte sein sollen, klaffte ein tiefes Loch.
    »Hab dich nicht so«, meinte die Frau jovial. »Ich hab’s in meiner Jugend ein wenig zu wild getrieben. Und später hat mir die Franzosenkrankheit die Nase weggefressen.« Sie zuckte die Schultern. »Weshalb sich darüber aufregen? Es ist nun einmal geschehen. Da kann man nichts machen.« Sie kippte sich einen ordentlichen Schluck hinter die Binde. »Willst du?«, fragte sie einladend und bot Kitty die Flasche an. »Übrigens, mein Name ist Betty.«
    »Danke, ich bin Kitty«, erwiderte die junge Mutter und probierte vorsichtig den Inhalt der Flasche. Das Zeug war ein wahrer Rachenputzer, der ihren Mund verätzte und sie erbärmlich husten ließ. Betty stieß ein wohlwollendes Lachen aus.
    »Das war wohl dein erster Schluck Gin, Kleine. Mit der Zeit

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