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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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sein.«
    Betty führte ihre Begleiterin zu einer Garküche, von denen es unzählige in Covent Garden gab. Dort suchten sie sich ein Stück Hammelfleisch von einem der vier Spieße aus, die sich, mit verschiedenen Fleischsorten gespickt, unablässig vor einer großen Feuerstelle drehten, und verzehrten es mit ein wenig Senf und einer Scheibe Brot. Es war die erste warme Mahlzeit, die Kitty zu sich nahm, seit sie das Arbeitshaus verlassen hatte. Müde, aber satt, folgte sie der Hökerin zur Black Boy Alley. Unterwegs begegneten ihnen Bettler und zwielichtige Gestalten. Kitty sah graue, ausgezehrte Gesichter, Pockennarben, verdreckte Bärte, Säufernasen, Geschwüre … Die beängstigenden Fratzen erschreckten sie. Nun war sie endgültig in die Welt der Ärmsten der Armen hinabgeglitten.
    »Hier verstecken sich viele Gauner und Diebe«, gab Betty zu, als sie Kittys beunruhigten Blick wahrnahm. »Aber die wissen, dass bei uns nichts zu holen ist, und halten sich lieber an die betuchten Bürgersleut’.«
    Gleichwohl konnte die junge Mutter nicht umhin, nach den wenigen Münzen zu tasten, die sie in den Taschen unter ihren Röcken verwahrte. Es hatte zu regnen begonnen, und der Wind trieb ihnen eisige Graupeln ins Gesicht. So unwohl sich Kitty in dieser Nachbarschaft auch fühlte, so war sie doch froh, für die Nacht ein Dach über dem Kopf zu haben. Die Logierhäuser in der Black Boy Alley sahen schmutzig und vernachlässigt aus. Bei den meisten waren die Fensterscheiben zerbrochen und durch Bretter oder Papier ersetzt worden. An einigen Fassaden waren deutliche Risse zu sehen, andere Häuser schienen so baufällig, dass sie jeden Moment zusammenzustürzen drohten.
    »Warum reißen die Eigentümer diese Bruchbuden nicht ab und bauen neue Häuser?«, fragte Kitty verständnislos.
    »Bei den meisten Gebäuden hier sind die Besitzverhältnisse unklar, deshalb kauft sie niemand«, erklärte Betty. »Das Risiko eines langwierigen Rechtsstreits ist zu groß. Da lässt man sie lieber verfallen und vermietet die Räume an arme Leute. Mistress Farrell, die Vermieterin, bei der ich gewöhnlich übernachte, führt mehr als zwanzig dieser Häuser und soll schon Tausende Pfund an Mieten eingenommen haben.«
    Die Türen der Absteigen standen offen, und es herrschte ein reges Kommen und Gehen. Schließlich waren sie am Ziel. Betty betrat eines der Häuser, ging in die Küche und bezahlte bei einer der Frauen, die vor dem warmen Kamin saßen, drei Pence für sich und Kitty.
    »Ihr seid spät dran«, meinte die Frau und steckte das Geld ein. »Es ist nur noch unter dem Dach etwas frei.«
    »Verdammt«, fluchte Betty erbost. »Ich hasse es, mit meinem Bein da raufkraxeln zu müssen.«
    Die Absteige glich einem Kaninchenbau. Jeder Raum verfügte über mehrere Türen. Schmale Korridore verbanden das Haus mit seinen Nachbarn zu beiden Seiten. Möbel gab es nicht. Auf dem Boden reihten sich mit Stroh oder Wolle gefüllte Säcke aneinander, auf denen die Schlafenden eng beieinanderlagen. Die Luft war zum Schneiden dick und stank nach ungewaschenen Leibern, Schweiß und Urin. In einer Ecke stand jeweils ein Eimer, der als Abort diente.
    Entsetzt sah Kitty sich um. Sie wagte kaum zu atmen, war aber zu erschöpft, um das Weite zu suchen. Wohin hätte sie auch gehen sollen? Hinaus in die kalte, unwirtliche Nacht? Um an irgendeiner Straßenecke zu erfrieren wie der arme Pete? Es war einfacher, sich der Hökerin anzuvertrauen und ihr blind in diese alptraumhafte Unterkunft zu folgen. Mit all den Menschen, die dort übernachteten, war es zumindest warm.
    Nachdem sie mehrere Treppen hinaufgestiegen waren, blieb Betty schließlich seufzend vor einer wackeligen Leiter stehen, die auf den Dachboden führte. Schnaufend und stöhnend erklomm die Hausiererin die knarrenden Sprossen, drückte die Falltür auf, die den Durchgang verschloss, und zog sich auf den Boden hinauf. Flüche empfingen sie, als sie einen der Schläfer anstieß, der nahe der Falltür lag. In der Dachkammer war es stockfinster. Ängstlich tastete Kitty nach Bettys Rock, um sie nicht zu verlieren. Auf allen vieren rutschten die beiden Frauen hintereinander zu einem freien Strohsack und ließen sich seufzend darauf nieder. Die Dunkelheit, die sie umgab, entzog ihnen die Schlafenden, mit denen sie die Kammer teilen mussten, doch der unverkennbare Geruch nach Tabak verriet Kitty, dass einige Männer darunter waren. Zumindest konnte sie ihre Tochter stillen, ohne von neugierigen Augen

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