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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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zu den Gewerben, die gemeinhin in Kellern untergebracht waren. Über der Tür war ein Schild befestigt, auf dem eine Kuh abgebildet war. Als Kitty zögernd die Stufen vom Straßenniveau hinabging und den sogenannten Milchraum betrat, war gerade eine Frau dabei, Rahm abzuschöpfen und in einen Holzeimer zu füllen. Es fiel der jungen Mutter nicht leicht, sie anzusprechen. Bisher war sie zurechtgekommen, ohne betteln zu müssen, doch mittlerweile besaß sie keinen Farthing mehr. Helen nahm ihr die Entscheidung ab. Ihr Greinen ließ die Frau in ihrer Arbeit innehalten.
    »Oh, ich dachte, Annie wäre zurück«, rief sie enttäuscht aus. »Was willst du, Kindchen?«
    »Meine Tochter hat Hunger, und ich habe keine Milch mehr«, erklärte Kitty und senkte beschämt die Augen.
    Die Frau musterte das junge Mädchen prüfend. Sie sah gleich, dass sie keine professionelle Bettlerin vor sich hatte.
    »Na, die Kleine ist wohl halb verhungert, so wie sie sich anhört«, meinte die Milchhändlerin. »Hast du denn etwas, um ihr die Milch einzuflößen?«
    Ratlos ließ Kitty die Schultern sinken. Daran hatte sie nicht gedacht.
    »Ist wohl dein Erstes«, bemerkte die Frau freundlich. »Warte, ich habe noch ein Kuhhorn, mit dem ich meinen Sohn gefüttert habe.«
    Sie trat zu einem Schrank im hinteren Bereich des Kellers und kehrte kurz darauf mit einem Horn zurück, an dem eine getrocknete und mit Tuch ausgestopfte Kuhzitze befestigt war. Sie füllte das Horn mit Milch aus dem Bottich, von dem sie den Rahm abgeschöpft hatte, und reichte es Kitty. Diese zögerte, es anzunehmen.
    »Ich kann Euch nicht bezahlen«, sagte sie leise.
    »Du siehst kräftig aus«, erwiderte die Milchhändlerin. »Mein Lehrmädchen ist mir davongelaufen, und ich finde auf die Schnelle keinen Ersatz für sie. Wenn du willst, kannst du für mich arbeiten.«
    Kittys Augen leuchteten auf. »Oh, vielen Dank. Das werde ich gerne. Ich danke Euch!«
    Ihre Tochter war gerettet.
    Die Arbeit als Milchmagd war hart. Morgens um sechs Uhr ging Kitty zu den Ställen am Rande des St. James’s Park. Sie bezahlte dem Eigentümer der Milchkühe, der seine Tiere auf den Weiden des Parks grasen ließ, zweidreiviertel Pence den Quart und molk die Kühe, bis ihre beiden Eimer voll waren. Dann legte sie sich das Joch über die Schultern und schleppte ihre Last zur Monmouth Street. Bevor die Milch zu viereinhalb Pence den Quart weiterverkauft wurde, ließ Mistress Lewis, die Händlerin, sie einen halben Tag lang stehen, schöpfte den Rahm ab und verdünnte die Milch mit Wasser, das sie zu Kittys Entsetzen aus dem Pferdetrog vor dem Nebenhaus holte.
    Bis zum Nachmittag ging Kitty, beladen mit dem Joch, durch die Gassen und pries ihre Ware an. Die Runde, der sie folgte, war genau vorgeschrieben. Mistress Lewis hatte die Strecke von einer anderen Händlerin gekauft. Nach jeder Lieferung ritzte Kitty die entsprechenden Kerbhölzer ein und schrieb die Zeche der Kundin an deren Türpfosten. Wenn sie ihre Runde beendet hatte, musste sie ein weiteres Mal zum St. James’s Park gehen und Milch holen. Nach der zweiten Runde gab sie Eimer und Kerbhölzer bei Mistress Lewis ab und erhielt ihren Tageslohn.
    Ihre Kunden waren größtenteils die Armen von St. Giles, die ein wenig Geld übrig hatten, um Milch zum Kochen zu erstehen. Die Wohlhabenden kauften beim »Lactarium« auf den St. George’s Fields ein oder bei den Mägden, die Kühe oder Esel durch die Straßen führten und diese vor der Tür des Kunden molken.
    Kitty blieb nur zwei Wochen bei Mistress Lewis. Die Arbeit erschöpfte sie zu sehr. Von dem mageren Lohn konnte sie sich gerade eine Mahlzeit am Tag leisten. Danach blieben ihr nicht einmal mehr die zwei Pence, die Mistress Farrell für ihre verlausten Strohschütten verlangte. So musste Kitty die Nächte in Hauseingängen oder unter einer der Vorbauten der Läden verbringen, auf denen tagsüber die Waren ausgestellt wurden. Ihren Stammplatz unter dem Verkaufsstand eines Handschuhmachers teilte sie sich schließlich mit dem achtjährigen Fackelträger Jonathan und dem verkrüppelten Bänkelsänger »Philip-im-Kübel«. Dieser hatte einst in der Armee gedient und in einer Schlacht beide Beine verloren. Seitdem schleppte er sich, den Oberkörper in einen hölzernen Bottich geschnallt, die sehnigen Hände auf Holzgriffe gestützt, schwerfällig durch die Gassen und verkaufte seine Balladen.
    So manche Nacht lauschten Kitty und Jonny den Erzählungen des alten Soldaten, der mit dem

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