Die Kurtisane des Teufels
Lehrknaben angefangen. Nun gingen die beiden Gruppen mit Stöcken bewaffnet aufeinander los und schlugen sich die Köpfe ein. Bald war das Gerücht im Umlauf, dass der Anführer der Jungen von St. Giles, ein Schuhputzer, bei einer Rangelei mit einem Schornsteinfegerlehrling von St. Anne umgekommen war. Daraufhin rückten die Büttel an, um die Ordnung wiederherzustellen.
Auf der Piazza von Covent Garden blieb es dagegen friedlich. Die Händler und Marktfrauen waren zu beschäftigt, um sich für die Streitereien der Lehrknaben zu interessieren. Immer wieder trafen die ländlich gekleideten, von robuster Gesundheit strotzenden Frauen aus Wales und Shropshire mit einer neuen Ladung Früchten aus den Obstgärten von Brentford und Ealing auf dem Marktplatz ein. Die Landfrauen kamen auf der Suche nach Arbeit jeden Frühling aus ihrer Heimat nach London und kehrten im Herbst nach Hause zurück. Mehrmals am Tag trugen sie für wenig Lohn ihre schweren Lasten über zehn Meilen von den Vororten in die Stadt. Ihre rosige Hautfarbe bildete einen auffälligen Kontrast zu den mageren grauen Gesichtern des Londoner Bettelvolks und den grindköpfigen Straßenkindern mit ihren von der Rachitis verkrüppelten Gliedern.
Beim Anblick dieser bedauernswerten Knirpse drängte sich Kitty der erschreckende Gedanke auf, dass ihre Tochter in einigen Jahren vermutlich ebenso missgestaltet sein würde. Es wäre besser für Helen, sie wäre nie geboren worden.
Schließlich nutzte Kitty die Pause, um ihre Tochter zu stillen. Schon vor ein paar Tagen hatte sie festgestellt, dass ihre Milch zu versiegen begann und dass das heranwachsende Kind kaum mehr satt wurde. Eine weitere Sorge, die auf ihr lastete.
»Bedauerst du es, nach London gekommen zu sein?«, fragte Betty überraschend. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Ich schon. Meine Eltern konnten ihre große Familie nicht ernähren, so dass ich früh Arbeit suchen musste. Aber im Nachhinein frage ich mich, ob ich nicht auch in meiner Heimatstadt eine Anstellung hätte finden können. Zumindest wäre ich in der Nähe meiner Geschwister geblieben. London macht einsam, wenn man nicht selbst eine Familie gründet. Und sogar dann kann es passieren, dass Gott dir deine Lieben nimmt und du allein zurückbleibst – wie der arme Pete.«
Verwundert über Bettys uncharakteristische Melancholie, musterte Kitty sie mit steigender Besorgnis.
»Ich schätze, du musst heute ohne mich weitermachen«, sagte die Hökerin mit rauher Stimme. »Ich fühle mich nicht wohl.«
»Du siehst tatsächlich ein wenig blass aus«, stellte Kitty fest.
Im nächsten Augenblick bäumte sich Betty mit einem schrecklichen Schrei wie vom Blitz getroffen auf. Ein Ausdruck blanker Todesangst stand in ihren Augen, und ihr Gesicht verzerrte sich vor unerträglichen Schmerzen. Dann quoll ein Schwall Blut aus ihrem Mund. Röchelnd rutschte Betty vom Rand des Handwagens und sackte auf dem Kopfsteinpflaster zusammen.
Entsetzt stürzte Kitty an ihre Seite. »Betty! O gnädiger Gott, lass sie nicht sterben«, flehte sie.
Das Blut floss unaufhörlich aus dem Mund der Hökerin, dick und rot wie eingekochter Kirschsaft, und bildete bald eine Lache um ihren Kopf.
»Hilfe!«, schrie Kitty verzweifelt. »Bitte helft uns.«
Doch ein Blick in Bettys Augen machte ihr klar, dass es bereits zu spät war. Die Hausiererin lag im Sterben. Nie würde sie diese furchtbare Qual vergessen, die sich in ihrem verzerrten Gesicht ausdrückte. Kitty brach in Tränen aus.
Einige Passanten eilten herbei und sahen hilflos zu, wie Betty inmitten einer Blutlache ihr armseliges Leben aushauchte. Auf einmal zwängte sich ein Mann durch die Schaulustigen, den Kitty wiedererkannte. Es war Meister Hearne, der Chirurg, zu dem Daniel sie einst geführt hatte, um ihre Brustwunde verbinden zu lassen.
Mit angespannter Miene hockte er sich neben Betty, deren Körper erschlafft war.
»Da ist nichts mehr zu machen«, sagte er kopfschüttelnd. »Sie ist verblutet.«
Sein Blick fiel auf Kitty, und sie sah Erkennen in seinen Augen aufblitzen.
»Niemand hätte etwas tun können, um deine Freundin zu retten, Kindchen«, sagte er mitleidig. »Zuweilen kommt es vor, dass bei Menschen, die seit vielen Jahren an der Franzosenkrankheit leiden, die Hauptschlagader aussackt und dann irgendwann aufreißt. Vermutlich ist die Arterie mit der Speiseröhre verwachsen, so dass das Blut nach außen trat. Ansonsten wäre sie innerlich verblutet, und niemand hätte sagen
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