Die Kurtisane des Teufels
können, woran sie gestorben ist. Es tut mir sehr leid, Herzchen.«
Meister Hearne wartete geduldig, bis Kittys Schluchzen ein wenig nachließ. »Hast du Geld, um sie bestatten zu lassen?«, fragte er zweifelnd.
Hilflos blickte die junge Mutter ihn an.
»Nun ja«, meinte er seufzend, »das überrascht mich nicht. Gehörte ihr der Handwagen?«
»Ja, er gehörte Betty«, murmelte sie.
»Der Pfarrer von St. Giles wird den Wagen in Zahlung nehmen. Das würde Betty ersparen, in einem Armengrab beigesetzt zu werden.«
Kitty nickte zustimmend. Das war sie der Hökerin schuldig. Mit Hilfe einiger Zuschauer hob der Wundarzt Bettys Leiche auf den Handwagen. Kitty hatte sich Helen wieder auf den Rücken gebunden und folgte Meister Hearne, der den Wagen mit seiner traurigen Last durch die Gassen zur Pfarrkirche von St. Giles schob.
»Du bist doch die Kleine, die vor etwa einem Jahr mit Daniel Gascoyne in meiner Offizin war, oder nicht?«, fragte er.
»Das stimmt«, antwortete sie einsilbig.
»Was ist geschehen?«
»Er hat mich geschwängert und dann sitzenlassen.«
Nachdenklich sah Meister Hearne die junge Frau an. »Das hätte ich ihm nicht zugetraut. Daniel ist ein Gauner, aber ein guter Mensch.«
»Da habt Ihr Euch wohl in ihm getäuscht«, erwiderte Kitty sarkastisch.
»Ich habe Daniel schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Weißt du, wo er ist?«
»Nein. Niemand scheint zu wissen, was aus ihm geworden ist.«
Meister Hearne beließ es dabei. Als sie die Pfarrkirche erreichten, sagte er: »Überlass alles Weitere mir, Kindchen. Bevor Betty bestattet werden kann, muss der Leichenbeschauer benachrichtigt werden. Ich werde bezeugen, dass sie eines natürlichen Todes gestorben ist. Komm morgen früh in meine Chirurgenstube. Falls du bei der Leichenschau aussagen musst, lasse ich es dich wissen.«
Niedergeschlagen irrte Kitty durch die Gassen von St. Giles. Am Morgen hatte Meister Hearne ihr mitgeteilt, dass ihre Aussage bei der Leichenschau nicht vonnöten war und dass Betty in einem bescheidenen Grab ohne Grabstein beigesetzt würde. Selbst wenn Kitty das Geld für einen Stein hätte aufbringen können, hätte sie doch nicht gewusst, welche Inschrift sie darauf hätte anbringen lassen sollen. Betty hatte ihren vollen Namen ihr gegenüber nie erwähnt.
Die resolute und doch so liebenswürdige Hökerin würde ihr schmerzlich fehlen.
Kitty hatte viel von ihr gelernt, vor allem eines: sich anderen gegenüber zu behaupten. Als wenn sie geahnt hätte, dass ihr Ende nahte, hatte Betty für ihre Freundin bei einem Schreiner einen angespitzten Holzpflock erstanden, eine Waffe, die ebenso einschüchternd sein konnte wie ein Messer. Seitdem trug Kitty den Holzpflock zu ihrer Verteidigung unter ihren Röcken. Sie bereute es nicht, den Handwagen für Bettys Bestattung geopfert zu haben, auch wenn es nun schwieriger für sie sein würde, Geld zu verdienen. Helen zuliebe hätte sie die Sterbende vielleicht liegen lassen und mit dem Handwagen das Weite suchen sollen, aber das hätte sie nie über sich gebracht.
Das Kind schrie vor Hunger. Kitty nahm es vom Rücken und wiegte es in ihren Armen, bis sie ein ruhiges Plätzchen fand, um es zu stillen. Doch sie hatte nur noch wenig Milch. Es brach ihr das Herz, zuzusehen, wie Helen gierig an den leeren Brüsten saugte und schließlich enttäuscht und erschöpft aufgab. Kitty graute vor dem Moment, da sie vor Schwäche aufhören würde zu schreien.
Der Ruf eines fahrenden Händlers ließ die junge Frau zusammenzucken.
»Alte Schuhe! Wer hat altes Schuhwerk? Tausche einen Besen gegen alte Schuhe.«
Ein bärtiger Mann in Schlapphut und ärmlicher Kleidung kam um die Ecke. Auf dem Rücken trug er mehrere zu einem Bündel verschnürte Reisigbesen, die er mittels einer Stange über der Schulter festhielt. Rasch bedeckte Kitty ihre Blöße und wiegte Helen, die immer noch greinte. Der Besenhöker blieb vor ihr stehen und sah die verzweifelte Mutter mitfühlend an.
»Der arme kleine Wurm«, bemerkte er. »Was ist mit ihm? Ist er krank?«
»Nein, sie hat Hunger«, erwiderte Kitty. »Ich habe nicht mehr genug Milch.«
Der Besenverkäufer nickte verständnisvoll, dann deutete er in die Richtung, aus der er gekommen war, und sagte: »Auf der Monmouth Street gibt es einen Milchhändler namens Lewis. Vielleicht bekommst du dort ein wenig Milch für die Kleine.«
Dankbar für den freundlichen Rat, schenkte sie dem Bärtigen ein herzliches Lächeln.
Der Milchhandel gehörte in London
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