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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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sie dann sitzenlassen oder war gestorben, und Margaret hatte allein für ihren Sohn sorgen müssen. Wahrscheinlich hatte sie Trost und Vergessen in der Trunksucht gefunden, bis sie ohne Gin nicht mehr leben konnte und zur Mörderin wurde.
    Kitty erschauerte. War ihr dasselbe Schicksal vorgezeichnet? Würde sie auch eines Tages ihre Tochter für eine Flasche Gin umbringen, weil das teuflische Gebräu ihr die Seele geraubt hatte? Entschlossen schwor sich Kitty, dass sie, ganz gleich, wie groß das Verlangen auch sein mochte, nie wieder auch nur einen Schluck Genever trinken würde.
    Als ein schwacher rosiger Schimmer den nahenden Morgen ankündigte, räkelte sich der Wachthauspächter auf der Bank, legte die erloschene Pfeife weg und erhob sich.
    »Ihr beiden müsst jetzt runter in die Zellen«, sagte er, an Kitty und den Bettler gewandt. »Ich werde mich noch eine Weile aufs Ohr legen, bis es Zeit ist, euch vor den Richter zu bringen.«
    Einer der Nachtwächter, der seine Runde bereits beendet hatte, führte Kitty und ihren Leidensgenossen die Stufen zum Untergeschoss hinab. Er sperrte den Bettler in die erste Zelle, die den Männern vorbehalten war. Dann zog er den Riegel der Frauenzelle zurück und öffnete die Tür.
    »Was, zum Teufel …«, stieß der Wächter entsetzt hervor.
    Kitty blickte an ihm vorbei in die Zelle und schrak zurück. Die betrunkene Dirne, die während der Nacht dort eingesperrt worden war, kniete in seltsamer kauernder Haltung auf dem Steinboden. Ihr Gesicht war blau verfärbt, und ihre Zunge hing geschwollen aus dem Mund. Sie hatte sich an dem leuchtend roten Seidenband erhängt, mit dem sie noch ein paar Stunden zuvor Freier hatte anlocken wollen.
    »Verdammt!«, fluchte der Nachtwächter und stürmte mit großen Schritten die Treppe zur Trinkstube hinauf.
    Im nächsten Moment eilten Dick, der Konstabler der Nacht und zwei weitere Wächter herbei und drängten sich in die Zelle. Erschüttert wich Kitty in Richtung Treppe zurück. Als ihr klarwurde, dass sich niemand um sie kümmerte, huschte sie die Stufen hinauf und durchquerte den Empfangsraum. Dicks Frau, die ihr den Rücken zukehrte, bemerkte sie nicht. Mit klopfendem Herzen schlüpfte Kitty zur Tür hinaus und rannte, so schnell sie konnte, davon.

16
    Nachdem Kitty nur knapp dem Zuchthaus und der Peitsche entgangen war, wagte sie es nicht mehr, unter freiem Himmel zu übernachten. Ein junges Mädchen, das auf dem Markt von Covent Garden bettelte, erzählte ihr von einem leerstehenden Haus auf der Dyott Street, nahe der Kirche von St.-Giles-in-the-Fields.
    Am Abend begleitete Kitty das Mädchen, das Mary hieß, zu dem Haus, das sich kaum von seinen ebenso baufälligen, aber noch bewohnten Nachbarn unterschied. Zu seiner Rechten stand ein billiges Logierhaus, in dem Dirnen mit ihren Freiern ein und aus gingen. In dem Gebäude zu seiner Linken hauste Bettelvolk, das sich gerade noch die wenigen Pennys für eine Unterkunft leisten konnte.
    Als die beiden jungen Frauen über die Schwelle traten, überlief Kitty ein Schauer. Eine Haustür gab es nicht. Sie war wie die Vertäfelung in den Räumen und das Treppengeländer schon vor langer Zeit herausgerissen und an die Wäscherinnen der Umgebung verkauft oder während der kalten Jahreszeit in den Kaminen verbrannt worden. Es roch nach Moder und Verwesung. Vermutlich verfaulten tote Mäuse und Ratten unter dem Fußboden und zwischen den Rissen in den Wänden.
    Ungläubig sah Kitty sich um. Dies war nicht eines der windschiefen Fachwerkhäuser, die mehrere Jahrhunderte überdauert hatten, sondern ein Ziegelbau, der nach dem Großen Brand errichtet worden war. Und doch wirkte er bereits baufällig.
    Durch die zerbrochenen Scheiben der Fenster fiel das Licht der untergehenden Sonne und erleichterte es den Frauen, einen Weg durch den Schmutz und die Abfälle zu finden, die den Fußboden bedeckten. Plötzlich ließ ein leises Geräusch Kitty zusammenzucken.
    »Da ist jemand«, raunte sie ihrer Begleiterin zu.
    »In der vorderen Stube leben zwei Frauen«, erwiderte Mary. »Im ersten Stock übernachtet manchmal ein Bettler, der mit niemandem spricht und immer ins Leere starrt. Er ist mir nicht geheuer. Im zweiten Stock hat jemand die Fußböden aufgerissen. Deshalb schlafe ich mit Joan in der Mansarde …« Ein leises Wimmern unterbrach das Mädchen. »Ich bin so froh, dass ich nicht allein in diesem unheimlichen Gemäuer übernachten muss.«
    »Vielleicht braucht jemand Hilfe«, sagte Kitty und

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