Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
Vom Netzwerk:
auf die gähnende Leere zu.
    Da überwand Joan ihre Angst, rutschte neben sie und griff nach Marys Handgelenk. Kitty hatte nun eine Hand frei, um sich abzustützen. Gemeinsam zogen sie das Mädchen auf die absinkenden Bohlen.
    Fassungslos nahmen die drei Frauen das Ausmaß der Katastrophe in sich auf. Die zusammenstürzende Fassade hatte gut die Hälfte des Hauses mit in die Tiefe gerissen. Es schien, als habe ein zerstörerischer Gott das Gebäude mit einer gewaltigen Axt in der Mitte durchgehauen. Kitty meinte, in einem Fenster des gegenüberliegenden Hauses ein erschrockenes Gesicht zu sehen. Rufe erklangen, als Schaulustige herbeieilten und mit ungläubigen Blicken den Trümmerhaufen aus Ziegeln, Holz und Mörtel betrachteten, der die Straße unpassierbar machte.
    »Wir müssen hier heraus, bevor der Rest auch noch einstürzt«, sagte Kitty.
    Rasch lief sie zu ihrer Tochter, band sie sich auf den Rücken und huschte so leichtfüßig wie möglich zur Tür. Joan und Mary folgten ihr wortlos die Leiter hinunter in den zweiten Stock. Entsetzt betrachteten die Frauen die beschädigte Stiege. Der Treppenlauf in den ersten Stock war teilweise abgerissen.
    »Wir kommen hier nicht mehr raus«, jammerte Mary und barg das Gesicht in den Händen.
    Joan, die sich wieder einigermaßen gefasst hatte, legte dem Mädchen beruhigend den Arm um die Schultern.
    »Wir müssen versuchen, nach unten zu klettern«, entschied Kitty.
    Sie nahm allen Mut zusammen und setzte behutsam den Fuß auf die erste Stufe, während sie sich an der Wand entlangschob. Ein unheimliches Ächzen erklang, und der ungestützte Treppenlauf begann gefährlich zu schwanken. Doch er hielt. Kitty holte tief Luft und machte einen weiteren Schritt. Mörtel rieselte auf sie herab, und die Mauern erzitterten leicht. Sie mussten sich beeilen.
    Als Kitty das abgebrochene Ende des Treppenlaufs erreichte, blickte sie vorsichtig zum darunterliegenden Absatz hinab. Da das Haus recht schmal gebaut war, ging es nicht allzu tief hinunter. Kitty setzte sich auf den äußersten Rand der vorletzten Stufe und rutschte vorwärts, bis ihre Füße den Treppenlauf gegenüber berührten. Dann ließ sie sich vorsichtig hinabgleiten und tastete nach der Wand. Die Stufen schwankten knirschend unter ihrem Gewicht, so dass Kitty es nicht wagte, sich länger aufzuhalten. Rasch schob sie sich bis zum Treppenabsatz vor und sah in die Tiefe. Mehrere Männer kletterten über die Trümmer der zusammengestürzten Fassade und riefen: »Ist noch jemand im Haus?«
    Kitty trat an den Rand des Abgrunds und winkte: »Wir sind zu dritt. Im Erdgeschoss in der vorderen Stube sind noch drei Frauen, soviel ich weiß.«
    Einer der Männer bestätigte mit Handzeichen, dass er verstanden hatte, und balancierte auf die Straße zurück. Hinter ihr ließ Joan Mary auf den gegenüberliegenden Treppenlauf hinab.
    Aus Angst, die schwankenden Stufen könnten unter ihrem zusätzlichen Gewicht wegbrechen, blieb Kitty an ihrem Platz und streckte dem Mädchen die Hände entgegen, falls dieses das Gleichgewicht verlieren sollte. Zitternd wie Espenlaub stolperte Mary schließlich in ihre Arme. Dann folgte Joan.
    Als die drei Frauen auf die Straße hinausblickten, liefen zwei Männer mit einer Leiter herbei, die sie von einer nahen Baustelle geholt haben mussten. Mit behutsamen Schritten erklommen sie den Trümmerhaufen der Fassade und legten die Leiter an einer Stelle an, die Kitty ihnen bezeichnete. Mit klopfendem Herzen wandte sie sich um, tastete mit dem Fuß nach der ersten Stufe und stieg mit der schreienden Helen auf dem Rücken die stark schwankende Leiter hinab. Als er sie erreichen konnte, stützte der Bauarbeiter sie, bis sie unten war, und übergab sie an einen seiner Kumpane, der sie über die Trümmer in Sicherheit brachte.
    »Bist du in Ordnung, Mädchen?«, fragte er fürsorglich.
    »Ja, mir und meiner Tochter geht es gut«, bestätigte sie. Allerdings fühlte sie sich von dem durchlebten Schrecken wie ausgeleert.
    »Das war ein Knall, als die Fassade herunterkam, kann ich dir sagen«, berichtete der Mann aufgeregt. »Bis nach Lincoln’s Inn Fields müssen die Leute den Krach gehört haben.« Er sah sie fragend an. »Sind noch mehr Menschen im Haus?«
    »Ja, vorn im Erdgeschoss wohnten drei Frauen«, antwortete Kitty, während sie bestürzt den Haufen Schutt betrachtete, der von dem Ziegelbau übrig geblieben war. Die Fassaden der anliegenden Häuser waren ebenfalls beschädigt. »Ich glaube nicht, dass

Weitere Kostenlose Bücher