Die Kurtisane des Teufels
nach.
Widerwillig blieb sie stehen und blickte ihn abweisend an.
»Verzeih«, bat der Fremde mit beschwichtigender Miene. »Ich hätte erkennen müssen, dass du keine Straßendirne bist. Die verhalten sich ganz anders. Dennoch scheinst du ein wenig Geld gut gebrauchen zu können. Ich biete dir zwei Guineen … nein, ich gebe dir fünf Guineen für eine ganze Nacht.«
Ohne nachzudenken, schüttelte Kitty den Kopf. »Euer Angebot beleidigt mich, Sir. Lieber verhungere ich.«
Lächelnd musterte sie der kleine Schotte. Die stolze Haltung dieses einfachen Mädchens vom Lande beeindruckte ihn. Unverdrossen fuhr er fort: »Es steht mir fern, dich zu etwas zu drängen, was du nicht tun willst, denn es gibt nichts Unerfreulicheres als eine widerspenstige Bettgenossin. Doch je länger ich dich ansehe, desto mehr verlangt es mich danach, dich in den Armen zu halten.« Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche seiner Weste und reichte sie Kitty. Zögernd nahm sie sie entgegen und las: »Henry Montague Esq., ›Zur grünen Feder‹, Sackville Street, Piccadilly.«
»Oh, du kannst lesen«, rief er entzückt. »Das wird ja immer besser.«
Fasziniert betrachtete Kitty ihn. Er wirkte wie ein Kind, das sich über ein neues Spielzeug freut.
»Lass mich dir einen Vorschlag machen, Kindchen«, sagte er mit leuchtenden Augen und kramte einige Münzen aus seinen Taschen hervor. »Hier, nimm das. Kauf meinetwegen etwas zu essen für dein Kind und dich selbst. Aber falls du es dir anders überlegst, komm heute Abend um acht Uhr zu dieser Adresse. Ich werde dich erwarten. Wir nehmen gemeinsam das Nachtmahl ein und … na, du weißt schon. Wenn du mir eine ganze Nacht schenkst, zahle ich dir zehn Guineen.«
Kitty wollte die Münzen nicht annehmen, doch er legte sie in ihre Hand und schloss ihre Finger darum.
»Denk in Ruhe über mein Angebot nach«, sprach er unbeirrt weiter. »Mach dich ein wenig zurecht und vertrau deinen Knirps einer Freundin an. Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich dir.«
Henry Montague warf ihr noch ein aufmunterndes Lächeln zu, dann berührte er zum Abschied seine Hutkrempe und ging davon. Nachdenklich drehte Kitty die Karte zwischen den Fingern und betrachtete die Silbermünzen, die er ihr gegeben hatte: eine Krone, eine halbe Krone, zwei Schilling-Stücke und ein Sechs-Pence-Stück. Nachdem sie alles in ihren Taschen verstaut hatte, lief sie ziellos durch die Gassen. Nach einer Weile erreichte sie die Große Piazza von Covent Garden. Zwischen den Marktständen herrschte wie stets ein buntes Treiben. Bedienstete und Hausfrauen, die früh aufgestanden waren, um frische Ware zu ergattern, handelten selbstbewusst mit den Verkäufern um einen guten Preis. Barfüßige Knaben spielten mit einer Schweinsblase Fußball und holten mit einem wohlgezielten Schuss einem ehrenwerten Friedensrichter den Hut vom Kopf, als dieser am Arm eines Konstablers von einem nächtlichen Gelage zu seinem Haus auf der Bow Street torkelte.
Kitty entdeckte »Philip-im-Kübel«, der unter den Fenstern eines bedauernswerten Bürgers eine Schmähballade sang und nur mit Mühe der warmen Dusche eines eilig über seinem Kopf entleerten Nachttopfs entging. Volle Körbe mit Gemüse oder Früchten auf den Köpfen balancierend, traf eine Gruppe von Landfrauen aus Shropshire auf dem Markt ein und lud ihre Last an den Verkaufsständen ab. Als Kitty ihre lachenden, rosigen Gesichter sah, fragte sie sich, weshalb Henry Montague gerade ihr dieses großzügige Angebot gemacht hatte. Sie war einmal hübsch gewesen, dessen war sie sich bewusst. Aber nun, schmutzig und vom Elend gezeichnet, bot sie sicher alles andere als einen verführerischen Anblick. Und doch hatte Montague darauf bestanden, die Nacht mit ihr zu verbringen. Gegen ihren Willen fühlte sich Kitty geschmeichelt. Die Begegnung mit dem lüsternen Schotten hatte sie aus der Namenlosigkeit ihres erbarmungswürdigen Daseins gehoben. Das erste Mal seit langem erwachte sie aus dem lähmenden Stumpfsinn, in den sie verfallen war. Ihr Überlebenswille begann sich zu regen. Sie musste diesem Sumpf des Elends entrinnen, bevor er sie endgültig verschlang.
Kittys Wanderung zwischen den Verkaufsständen des Marktes hindurch führte sie vor die Baracke, die »Tom Kings Kaffeehaus« beherbergte. Einem Impuls folgend, trat sie ein. Seit ihrem ersten Besuch, bei dem sie Daniel begegnet war, hatte sie sich der Kaffeestube nicht mehr genähert. Zu schmerzlich war die Erinnerung gewesen. Doch an
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