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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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sie aus eigener Kraft herausgekommen sind.«
    »In dem Fall sind sie wahrscheinlich tot«, erwiderte der Mann kopfschüttelnd. »Von der vorderen Stube ist nichts übrig geblieben.«
    Er entfernte sich, um den anderen zu helfen. Am ganzen Körper zitternd, sah Kitty zu, wie sie mit den Händen die Trümmer wegzuräumen begannen. Joan und Mary beobachteten ihre Anstrengungen von der anderen Straßenseite aus.
    Kitty erschrak, als eine alte Frau sie ansprach. »Ich habe dir Milch für dein Kind mitgebracht«, sagte sie freundlich und lächelte der jungen Mutter zu.
    Dankbar nahm Kitty die Zinnflasche entgegen, die die Gevatterin ihr reichte. Die Milch darin war warm. Kitty setzte sich auf den Boden, legte sich Helen in den Arm und ließ sie an der ledernen Zitze saugen, die das zylinderartige Gefäß verschloss. Zu Kittys Erleichterung stellte die Frau keine Fragen nach ihrem furchtbaren Erlebnis. Als Helen satt war, nahm sie die Zinnflasche zurück und verschwand ebenso unauffällig, wie sie gekommen war.

17
    Inzwischen hatten die Bauarbeiter ihre Suche nach den drei noch vermissten Frauen unterbrochen. Die Unterhaltung der Schaulustigen verstummte, als sie sich näher um die Männer drängten. Offenbar waren diese fündig geworden. Erst als die Zuschauer nach einer Weile mit erschütterten Mienen die Sicht freigaben, erkannte Kitty, dass zwei der Frauen geborgen worden waren. Nachbarinnen eilten herbei, um die Blöße der Toten zu bedecken. Bevor die beiden Leichen unter den Laken verschwanden, sah Kitty im Licht des Tages mit schrecklicher Deutlichkeit, wie abgezehrt sie waren. Eine der Frauen hielt noch immer das Brot in der Hand, das Kitty ihr gegeben hatte. Sie hatte wohl nicht mehr die Kraft gehabt, es zu essen.
    »Entsetzlich«, murmelte eine Stimme. »Einfach entsetzlich, dass so etwas in einer zivilisierten Nation wie der unsrigen möglich ist.«
    Kitty betrachtete den untersetzten jungen Mann neben ihr, dessen dichtes Haar ihm unordentlich auf die Schultern fiel. In seinen kräftigen, aber geschickten Händen hielt er ein kleines Notizbuch, in dem er mit wenigen Bleistiftstrichen die erbarmungswürdigen Überreste der toten Frauen festhielt und dann in einer zweiten Skizze die Trümmer des Hauses. Als der Mann ihrer Blicke gewahr wurde, wandte er ihr seine freundlichen dunklen Augen zu und musterte sie aufmerksam.
    »Ihr wart in dem Haus, als es zusammenstürzte?«, fragte er. »Kanntet Ihr die armen Kreaturen?« Noch ehe sie antworten konnte, besann er sich und neigte leicht den Kopf. »Verzeiht meine Unhöflichkeit. Ich hätte mich zuerst einmal vorstellen sollen. Mein Name ist William Hogarth, Kupferstecher. Aber meine Leidenschaft ist das Zeichnen. Die Öffentlichkeit muss diesen Skandal zu sehen bekommen. Es ist ungeheuerlich, dass in einem so reichen Land wie dem unsrigen Menschen hungers sterben und Säuglinge in den Straßengraben geworfen werden wie Abfall.«
    Verwundert sah Kitty in das eher grobgeschnittene ovale Gesicht des Kupferstechers, das so viel Enthusiasmus ausdrückte. Es war das erste Mal, dass sie jemandem begegnete, der sich über das Elend der Armen entrüstete.
    »Ich kannte die bedauernswerten Frauen nicht«, sagte sie leise. »Aber ich kenne viele wie sie.«
    Ein weiterer Passant, der die Leichen aus der Nähe betrachtet hatte, gesellte sich zu ihnen.
    »Die Totenstarre ist bereits eingetreten, sagen die Arbeiter, die sie geborgen haben«, bemerkte er. »Die Frauen waren schon tot, als das Haus einstürzte. Wie es aussieht, sind sie elendig verhungert.«
    Kitty hörte der Unterhaltung der beiden Männer nur noch mit halbem Ohr zu. Ihre Knie zitterten. Sie fand nicht die Kraft, sich von dem Unglücksort zu entfernen. Die Angst, dass sie eines Tages das Schicksal dieser Frauen teilen musste, ließ sie kaum atmen. Sie bemerkte nicht, wie sich ein Konstabler einfand und die Trümmer besichtigte und wie die Schaulustigen sich langsam zu zerstreuen begannen. Erst nach einer Weile registrierte sie, dass ein etwas abseits stehender Mann ihr immer wieder neugierige Blicke zuwarf. Als er ihre Augen auf sich gerichtet sah, trat er näher.
    »Ich konnte nicht umhin zu bemerken, welch hübsches Gesicht sich unter deinem elenden Äußeren verbirgt«, sagte er mit einem leichten schottischen Akzent. »Wie viel verlangst du für deine Dienste?«
    Kittys Augen weiteten sich empört. »Ich bin keine Dirne«, erwiderte sie und wandte sich ab.
    »Warte!«, rief der Mann und eilte ihr

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