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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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den Heimweg zu machen«, bemerkte Polly und streckte sich, um ihre steifen Glieder zu lockern.
    Die beiden Frauen verabschiedeten sich von Hogarth, Laroon Kneller, die ihnen anboten, ihnen eine Sänfte zu rufen. Doch Kitty lehnte dankend ab.
    »Lass uns die wenigen Schritte zur Little Russell Street zu Fuß gehen«, schlug sie vor.
    Polly stimmte zu und hakte sich bei der Älteren ein. Als sie die Kleine Piazza überquerten, kamen sie an einer Gruppe obdachloser Frauen vorbei, die zusammengekauert im Eingang zu »Rigg’s Hummums« hockten. Kitty hielt plötzlich inne und löste sich von ihrer Begleiterin.
    »Warte einen Moment auf mich«, bat Kitty mit belegter Stimme.
    Während sie auf die in fadenscheinigen Lumpen gekleideten Bettlerinnen zutrat, griff sie in den Geldbeutel, den der Herzog von Richmond ihr als Bezahlung für ihre Dienste gegeben hatte, und holte eine Goldguinee hervor. Als eine der Frauen mit grauem Gesicht furchtsam zu ihr aufsah, schob Kitty ihr die Münze in die Hand. Ungläubig ließ die Bettlerin das Geld im Licht der nahen Lampe aufblinken.
    »Gott segne Euch, Madam«, sagte sie und schloss die Faust über der Guinee.
    Da bemerkte Kitty den Säugling, den die Frau an ihre Brust drückte. Das schmale Gesichtchen des Kindes glich dem eines Äffchens, so mager war es.
    Polly musste ihre Freundin mit sanfter Gewalt vom Anblick der Elenden fortziehen.
    In ihrer Kammer im Dachgeschoss des Bordells halfen sich die jungen Frauen gegenseitig beim Auskleiden. Kitty sagte kaum ein Wort und starrte in Gedanken versunken vor sich hin. Während Polly mit einem breitzinkigen Kamm durch das blonde Haar ihrer Freundin fuhr, ertrug sie das lastende Schweigen nicht länger.
    »Kanntest du diese armen Frauen?«, platzte sie schließlich heraus.
    Kitty schrak auf und schüttelte den Kopf.
    »Nein … Aber ihr Anblick erfüllt mich mit purem Entsetzen …«
    »Du hast einmal wie sie gelebt, bevor du hierherkamst, nicht wahr?«, hakte Polly nach.
    »Das stimmt. Ich hatte mich schon fast aufgegeben.«
    »Vom ersten Tag an habe ich den Schmerz in deinen Augen gesehen«, gestand Polly. »Möchtest du mir davon erzählen? Ich bin eine gute Zuhörerin.«
    Gerührt hob Kitty den Blick zu dem jungen Mädchen, das noch nichts von den Schrecknissen des Lebens wusste. Doch zugleich las sie in den arglosen Zügen die Intelligenz und die Bereitschaft, sich auf die Sorgen eines anderen Menschen einzulassen.
    Während sie sich wuschen und in ihre Nachthemden schlüpften, berichtete Kitty ihrer Mitbewohnerin, wie sie nach dem Tod der Eltern nach London gekommen war, um ihren Bruder zu finden. Als sie mit gebrochener Stimme erzählte, welches Schicksal Thomas ereilt hatte, zögerte sie nur kurz, bevor sie Polly offenbarte, welche Rolle Jonathan Wild dabei gespielt hatte.
    »Der Diebesfänger?«, entfuhr es dem Mädchen überrascht. »Aber er ist angesehener als die Richter des Königs!«
    »Das ist nur das Bild, das er der Öffentlichkeit zeigt«, widersprach Kitty. »In Wirklichkeit ist er es, der über die Räuber und Diebe Londons gebietet. Naiv wie ich war, drohte ich ihm, Nachforschungen über ihn anzustellen und die Wahrheit über seine Verwicklung in den Tod meines Bruders ans Licht zu bringen. Deshalb hat er einen Meuchelmörder beauftragt, mich umzubringen.«
    »Allmächtiger!«, stieß Polly entsetzt hervor. »Das ist furchtbar. Wie hast du es geschafft, ihm zu entkommen?«
    »Einer von Jonathan Wilds Dieben half mir. Ich verliebte mich in ihn. Er ist der Vater meiner Tochter.«
    »Wo ist er jetzt?«
    »Ich weiß es nicht. Eines Tages verschwand er. Vermutlich war ihm die Last des Familienlebens zu schwer geworden.«
    »Bist du sicher?«, fragte Polly zweifelnd. »Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen.«
    »Das glaubte ich auch zuerst«, murmelte Kitty. »Aber seine ehemalige Geliebte belehrte mich eines Besseren. Sie meinte, er habe mich sitzenlassen.«
    »Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass sie dich mit ihren Worten nur verletzten wollte, weil sie eifersüchtig war?«
    »Damals nicht. Was hätte sie davon gehabt, mich zu belügen?«, erwiderte Kitty kopfschüttelnd. »Aber heute, da ich mehr über die Bosheit der Menschen weiß, klingt eine solche Überlegung nicht mehr so abwegig.« Schweigend dachte sie einen Moment nach. »Dennoch glaube ich, dass Daniel mir Nachricht geschickt hätte, wenn er in Schwierigkeiten geraten wäre.«
    »Vielleicht war es ihm nicht möglich«, vermutete Polly, deren Zuversichtlichkeit

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