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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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dich holen, Daniel Gascoyne!

24
    Kitty beugte sich über das Geländer der Loge und blickte auf das Publikum im Parterre hinunter. Während sich die Schauspieler auf der Bühne Mühe gaben, der dramatischen Szene ein entsprechendes Pathos zu verleihen, war zwischen zwei Zuschauern ein Streit ausgebrochen. Die Herren zogen ihre Degen. Ihre Nachbarn warfen sich geistesgegenwärtig zu Boden, und von den Rängen erklangen Jubelgeschrei und anfeuernde Rufe, die die Stimmen der bemitleidenswerten Schauspieler übertönten. Bald flogen Orangenschalen durch die Luft. Eine unbeteiligte Zuschauerin wurde von einer Degenklinge am Arm verletzt und schrie Zeter und Mordio. Endlich trafen Konstabler und Büttel ein, um die Ordnung wiederherzustellen. Da legten die beiden Ruhestörer von einem Moment zum anderen ihren Streit bei und verschwanden gemeinsam durch die Hintertür. Das Stück wurde dennoch abgebrochen, und die Büttel begannen das Drury-Lane-Theater zu räumen.
    Kitty, die ihre Loge mit Polly und Mistress Grimshaw teilte, erhob sich und strich die seidenen Röcke ihres Mantelkleides glatt, als ein vornehm gekleideter Mann Anfang fünfzig in der Tür erschien. Er trug einen Rock aus braunem Samt, der an Knopfleiste, Taschen und Manschetten mit Silberstickereien versehen war, dazu eine bestickte Weste, braune Kniehosen und weiße Seidenstrümpfe. Die nur in der Taille geschlossene Weste ließ das feine Leinen des Hemdes sehen. Ein Spitzenjabot fiel wie eine schneeige Kaskade über die Brust. Das von nur wenigen Falten durchzogene Gesicht unter der dunklen Perücke erinnerte Kitty an Charles Lennox, Herzog von Richmond. Bisher war sie dem Ankömmling nicht vorgestellt worden, doch Madam Grimshaw hatte sie bereits bei einem Theaterbesuch vor einigen Wochen auf ihn aufmerksam gemacht. Sein Name war Charles Beauclerk, Herzog von St. Albans. Er war ebenfalls ein unehelicher Sohn von Charles II. und damit ein Halbbruder von Charles Lennox. Seine Mutter war die Theaterschauspielerin Nell Gwyn.
    Der Herzog grüßte die drei Frauen und bat die Kupplerin, ihn ihren Begleiterinnen vorzustellen. Dann verbeugte er sich galant vor Kitty und sagte: »Seit einiger Zeit bewundere ich Euch bereits aus der Ferne, Miss Montague. Es wäre mir eine Freude, wenn Ihr mir erlauben würdet, Euch morgen Abend zum Essen auszuführen.«
    »Es wird mir eine Ehre sein, Euer Gnaden«, antwortete Kitty herzlich.
    Ihre Freude war nicht gespielt. Wie sein Bruder war ihr Charles Beauclerk auf den ersten Blick sympathisch. Er hatte den Charme seines legendären Vaters, des »fröhlichen Monarchen«, geerbt, über den Kitty so viel gehört hatte.
    Am folgenden Abend holte der Herzog von St. Albans die junge Kurtisane in seiner Kutsche ab. Kitty war sich nicht ganz sicher, ob er tatsächlich von ihrer Schönheit beeindruckt war oder ob er sie nur deshalb eingeladen hatte, weil er mit seinem Halbbruder konkurrieren wollte. Die Kutschenräder rollten geräuschvoll über das Pflaster der Großen Piazza. Kitty warf einen Blick aus dem Fenster, als das Gefährt die Baracke passierte, die »Tom Kings Kaffeehaus« beherbergte.
    »Wohin fahren wir, Euer Gnaden?«, fragte sie neugierig.
    »Kennt Ihr die ›Half-Moon Tavern‹ in der Half-Moon-Passage?«
    »Ich war noch nie dort. Aber ich habe gehört, dass das Essen vorzüglich sein soll. Der Koch Jean Le Becq soll wahre Wunder vollbringen.«
    »So ist es«, stimmte der Herzog von St. Albans zu. »Er ist Hugenotte und hat viele außergewöhnliche Rezepte aus Frankreich mitgebracht.«
    Die Kutsche bog von der Henrietta Street in die Bedford Street ein, die hinter der Kreuzung mit der Chandos Street und der Maiden Lane in eine schmale Gasse überging und eine Durchgangspassage zum Strand bildete. Die namhafte Schenke lag an der Ecke auf der rechten Seite. Da sie zeitig kamen, führte ein Schankbursche Kitty und den Herzog zu einem der bevorzugten Plätze an den Fenstern, so dass sie auf das bunte Treiben auf dem Strand hinaussehen konnten. Es dauerte nicht lange, bis sich die noch freien Bänke an den Tischen füllten und die Schankburschen Speisegäste abweisen mussten.
    Jean Le Becq begrüßte die Gäste von Rang persönlich. Als er an den Tisch kam, an dem Kitty und St. Albans saßen, ließ die junge Frau es sich nicht nehmen, den berühmten Koch auf Französisch anzusprechen. Der Herzog zeigte sich beeindruckt von ihren Sprachkenntnissen.
    »Wie ich sehe, verbirgt sich hinter Eurem betörenden Äußeren ein kluger

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