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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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unverwüstlich war.
    »Wenn er mich wirklich liebte, hätte er sicher einen Weg gefunden«, gab Kitty trotzig zurück.
    Die beiden Frauen schlüpften ins Bett, und Polly blies die Kerze aus. In der Dunkelheit der frühen Morgenstunden kuschelten sie sich Wärme suchend aneinander.
    »Erzähl weiter«, bat das Mädchen die Ältere. »Was hast du getan, nachdem der Vater deines Kindes verschwunden war?«
    Nur zögernd berichtete Kitty von ihren Erfahrungen im Arbeitshaus und ihrer Freundschaft mit Betty. Ihre Stimme versagte, als sie den entsetzlichen Tod der Hökerin beschrieb.
    »War sie die Frau auf dem Bild, das Mr. Hogarth dir gab?«, erkundigte sich Polly mitfühlend.
    Kitty nickte. Als ihr bewusst wurde, dass ihre Bettgenossin die Geste im Dunkeln nicht sehen konnte, antwortete sie leise: »Ja. Ohne sie wäre ich verloren gewesen.«
    Nur widerwillig erzählte Kitty von ihrem Leben auf der Straße, ihrer Begegnung mit »Philip-im-Kübel« und dem Fackelträger Jonathan und schließlich von ihrer Verhaftung und dem Aufenthalt in der Wachtstube. Polly lauschte atemlos und stieß hörbar die Luft aus, als Kitty von dem Knaben berichtete, den seine Mutter der Kleider wegen ermordet hatte, und der armen Dirne, die sich an dem roten Seidenband, ihrem wertvollsten Besitz, an der Zellentür erhängte.
    »Nun verstehe ich, warum du der Frau mit dem Kind das Geld gegeben hast«, murmelte Polly erschüttert. »Ich hätte nicht gedacht, dass es in unserer unmittelbaren Nachbarschaft solch herzzerreißendes Elend gibt.«
    »Weißt du, was das Schlimmste ist, Polly?«, fragte Kitty nach einer Weile des Schweigens. »In den Geschichten, die man über das Bettelvolk hört, ist stets von der Gestalt des ›rüstigen Bettlers‹ die Rede, der seine Gebrechen und Wunden mit Essig und Seife vortäuscht, um dem mitfühlenden Bürger eine milde Gabe zu entlocken. Und am Ende des Tages finden sich all die falschen Bettler in ihrer Stammschenke zusammen und lassen wie durch ein Wunder ihre Geschwüre verschwinden, so heißt es. Mein Vater hat mir schon diese Geschichten erzählt, und er glaubte fest daran, dass sie der Wahrheit entsprechen. Viele Menschen geben kein Almosen, weil sie fürchten, einem Betrüger aufzusitzen, selbst die Armenpfleger und die Magistrate lassen sich von diesem Bild beeinflussen. Ich habe jedoch mit eigenen Augen gesehen, dass nichts davon wahr ist. Die Armen, die ich kennengelernt habe, waren Frauen mit kleinen Kindern oder gebrechliche alte Männer. Kaum einer von ihnen hätte sich selbst als Bettler bezeichnet, und die meisten gingen einer Arbeit nach, sei es als Schuhputzer, Straßenfeger, Fackelträger oder als Aufwartefrau oder Lumpensammlerin. Aber diese Arbeit konnte sie nicht ernähren. Deshalb bettelten sie an den Türen der Wohlhabenden um Speisereste. Vielleicht gibt es tatsächlich den ein oder anderen, der in eine Rolle schlüpft, um erbarmungswürdiger zu erscheinen, als er ist, aber das sind nur wenige. Die meisten sind so elend und verloren wie die Frauen in dem Haus auf der Dyott Street.«
    Obwohl Polly ihre Freundin bat, ihr Näheres über diese Frauen zu erzählen, schwieg Kitty. Sie hatte Angst, die entsetzlichen Bilder von den ausgezehrten Leichen zu beschwören, die ihr nach wie vor in Alpträumen erschienen.
    »Nun bist du an der Reihe«, forderte Kitty ihre Bettnachbarin stattdessen auf. »Was hat dich in dieses Haus geführt?«
    Polly schnaubte durch die Nase. »Das Übliche! Ein hübsches Gesicht, eine Stimme wie Samt, die mir die Ehe versprach. Doch zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich so sehr in meinen Angebeteten verliebt war, dass ich auch ohne seine falschen Versprechungen mit ihm durchgebrannt wäre. Mein Vater war Pfarrer in Newbury. Er legte schon immer großen Wert auf Frömmigkeit und strenge Zucht. Als mein Geliebter mich verließ, wagte ich es nicht, zu meiner Familie zurückzukehren. Mein Vater hätte ein gefallenes Mädchen nicht unter seinem Dach geduldet. Es war mein Glück, dass ich nicht schwanger geworden war, und da man mir nachsagte, ich sei hübsch, ging ich nach London und begab mich in die Hände von Madam Grimshaw, die auf der Suche nach jungen Mädchen war. Das ist jetzt ein Jahr her.« Sie gähnte, als die Müdigkeit sie endlich einholte. »Vielleicht macht mir eines Tages ein wohlhabender Freier einen Antrag. Ich habe mir immer gewünscht, eine Familie zu haben.«
    Viele Frauen haben diesen Traum, dachte Kitty düster. Auch ich. Der Teufel soll

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