Die Lady auf den Klippen
Familienzimmers, einen Brandy in der Hand, von dem er noch keinen Schluck getrunken hatte. Er blickte hinaus zum sternenübersäten Himmel und dachte an den Zwischenfall mit Dashwood.
Hinter ihm saßen seine Brüder und Stiefbrüder, plauderten leise und gönnten sich einen Nachttrunk. War es tatsächlich möglich, dass Blanche diesen Dashwood liebte, oder heiratete sie aus Vernunftgründen? Teilten sie bereits das Bett miteinander? Und hatte Dashwood vor, sich ihres Vermögens zu bemächtigen, indem er sie nach der Heirat für verrückt erklären ließ?
Jemand stellte sich neben ihn. Er drehte sich um und sah Cliff, der ihn anlächelte. „Eine Nacht für Liebende“, sagte er. „Und ich werde nach oben zu meiner Frau gehen.“
Rex brachte kein Lächeln zustande. „Amanda war vermutlich nie glücklicher und reizender.“
Cliff nickte zustimmend. „Und du warst vermutlich nie unglücklicher.“
Rex erstarrte. Cliff war nur ein Jahr jünger als er selbst, und sie hatten sich immer sehr nahegestanden. Andererseits waren sie im Charakter vollkommen gegensätzlich. Den größten Teil seines Lebens hatte Cliff als Schürzenjäger den Globus bereist, als Kaufmann und Kaperfahrer, und ein großes Vermögen gemacht. Rex war ein Kriegsheld, ein Patriot, ein stets pflichtbewusster Sohn und Bruder, und er bestellte das Land auf seinem bescheidenen Anwesen. Während er selten allein schlief, wechselte er seine Frauen nicht in demselben Maße, wie es sein Bruder getan hatte, bis er sich in seine Frau verliebte.
„Ich hörte, was bei White’s geschah. Offenbar magst du Blanche Harrington noch immer. Ich verstehe nicht, warum du nicht das tust, was du tun willst.“
Rex räusperte sich. Nie würde er zugeben, dass sie ihn zurückgewiesen hatte. „Dashwood erklärt sie öffentlich für verrückt.“
„Auch das habe ich gehört. Jemand muss ihm Einhalt gebieten.“ Cliff lächelte.
„Ich glaube, er will sie heiraten und dann legal entmündigen lassen, damit er allein über ihr Vermögen bestimmen kann.“
„Das könnte sein Plan sein, wäre allerdings sehr mies. Bist du sicher, dass du keine falschen Schlüsse ziehst?“
„Ich habe gehört, wie er sagte, er wäre Zeuge ihres Wahnsinns gewesen, und dass eine Verrückte kein Anrecht auf ein Vermögen hat.“ Rex atmete schwer. „Du hast recht. Jemand muss ihm Einhalt gebieten.“
„Was willst du also tun?“
Er sah seinen Bruder an. „Ich bin der Wahnsinnige – denn ich beabsichtige, mich einzumischen. Ich werde Blanche sagen, was ich gehört habe. Aber sie wird nicht glauben, dass jemand so bösartig sein kann. Irgendwie muss ich sie davon überzeugen, Dashwood den Laufpass zu geben.“
Cliff lächelte. „Ich habe das seltsame Gefühl, dass das nicht so schwer zu erreichen sein dürfte.“
„Blanche wird es nicht gefallen, wenn ich mich einmische – dessen bin ich mir ziemlich sicher.“ Rex wandte sich ab. Er wollte sich gar nicht erst ausmalen, wie ihre nächste Begegnung verlaufen würde. Doch er war ein Gentleman und konnte nicht zulassen, dass Dashwood mit einem solch verachtenswerten Plan durchkam.
Cliff legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Viel Glück.“
Niemand macht am Vormittag Besuche, höchstens engste Familienangehörige, dachte Rex, als er vor Harrington Hall aus seiner Kutsche stieg. Noch eine weitere Kutsche stand dort, aber sie war zu schön und luxuriös, um Dashwood zu gehören. Er fragte sich, ob sie Blanche gehörte und sie um diese Zeit vielleicht ausfahren wollte. Wann würde Dashwood wohl kommen, um den Ehevertrag zu unterzeichnen? Wenn er, Rex, jedoch Erfolg hatte, würde Blanche ihn nicht in ihrem Haus willkommen heißen.
Er war die ganze Nacht auf gewesen und hatte nachgedacht. Jetzt war er voller Anspannung, als er sich die Stufen zu der beeindruckenden Ebenholztür hinaufschwang. Zwei livrierte Diener standen dort, so reglos wie Statuen. Er klopfte laut. Sein Herz schlug heftig, denn vieles stand auf dem Spiel. Blanches Vermögen – und ihr Glück. Rex machte sich nichts vor. Er bezweifelte, dass sie sich freuen würde, ihn zu sehen, auch wenn sie ihr Missfallen nicht zeigen würde. Und so gut er sie auch kannte – er konnte sich nicht vorstellen, wie sie reagieren würde, wenn er ihr von Dashwoods Plan erzählte. Vermutlich würde sie ihm nicht glauben. Sie würde ihm für seinen Besuch danken und ihn dann wieder seiner Wege ziehen
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