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Die Lady auf den Klippen

Die Lady auf den Klippen

Titel: Die Lady auf den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Joyce
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Dahinter sah er eine geschwungene Marmortreppe mit einem roten Teppich. Sofort blickte er zu dem Porträt, das über der Treppe an der Wand hing.
      Das Bild zeigte Julia und Stephen, sie standen nebeneinander. Zwei Spaniel saßen zu ihren Füßen, hinter ihnen war ein ausladender Baum zu sehen. Die blonde Julia sah elegant und sehr hübsch aus. Stephen trug einen Anzug und ein Halstuch und wirkte so ernst wie ein kleiner Mann, nicht wie ein Junge von höchstens sechs oder sieben Jahren.
      Rex glaubte, sein Herz müsste vor Qual zerspringen. Die kleine Miniatur, die Julia ihm geschickt hatte, zeigte dieselbe Miene. Ein Hinweis darauf, dass Stephen selten lachte? Hatte er jetzt schon einen so ernsten Charakter? War er traurig? Oder befolgte er für die Porträts nur die Anweisung, möglichst ernst und sogar hochmütig dreinzublicken?
      Rex hörte die leichten Schritte einer Frau. Alles in ihm spannte sich an, als Julia im Gang erschien. Die Augen in ihrem noch immer beinahe makellosen Gesicht wirkten riesig. Obwohl er sich nicht von ihr angezogen fühlte, bemerkte er, dass sie kaum gealtert war. Überrascht stellte er fest, dass er auch keine Feindseligkeit verspürte. Er hatte sie so lange Zeit verachtet – beinahe ein Jahrzehnt lang –, dass es ihn einen Moment lang verblüffte, festzustellen, dass er nichts mehr empfand.
      Aber er musste auch an so viel anderes denken als an die Frau, die ihn vor langer Zeit betrogen hatte.
      Sie jedoch verhielt sich nicht gleichgültig, das sah er sofort. „Sir Rex“, sagte sie, und ihre Stimme war einen Ton höher, als er sie in Erinnerung hatte. „Mir war nicht bewusst, dass Sie in der Stadt sind.“ Ihr Lächeln wirkte angestrengt.
      Er verneigte sich. „Lady Clarewood. Sie sehen sehr gut aus.“ Er lächelte.
      Wieder wirkte sie überrascht. Zögernd und ohne zu lächeln erwiderte sie: „Sie ebenfalls.“ Sie machte keine Anstalten, mit ihm in ein anderes Zimmer zu gehen, wo sie sich unterhalten könnten.
      Er bemerkte, dass sie sehr abwehrend reagierte, was ihn mit Unruhe erfüllte. „Ich habe Tom bei White’s getroffen. Hat er nichts davon erwähnt, dass ich Stephen besuchen wollte?“
      Sie holte tief Luft. „Nein, das hat er nicht.“
      Rex spürte, dass sie Angst hatte vor ihm. „Warum gehen wir nicht in einen anderen Raum, wo wir miteinander sprechen können?“ Er lächelte, in der Hoffnung, sie beruhigen zu können.
      Es dauerte einen Moment, dann nickte sie. Sie sah zu dem Butler, der hinter ihr im Schatten stand, doch Rex kam ihr zuvor. „Ich brauche keine Erfrischungen.“
      Julia ging voran durch den Empfangsraum und in eine Bibliothek, von deren Fenster aus man in die Gärten mit ihren Springbrunnen, künstlichen Seen und einem weitläufigen Labyrinth sehen konnte. Dann schloss sie die Türen hinter ihnen und drehte sich abrupt um. „Wie konnten Sie das tun?“
      „Ich sehe, dass Sie aufgeregt sind.“ Er sah sich um. Dieser Raum hätte ein Teil des Buckingham Palace sein können. „Das war nicht meine Absicht. Aber darf ich Sie daran erinnern, dass der Verlust meines Kindes mich beinahe ein Jahrzehnt aufgeregt hat?“
      Sie erstarrte. „Und plötzlich beschließen Sie, hierher zu kommen. Wozu?“
      „Ich möchte meinen Sohn in Fleisch und Blut sehen. Ich möchte mit ihm sprechen, seine Stimme hören und sein Lächeln sehen. Ist das zu viel verlangt?“ Er sprach sehr ruhig.
      „Und um solch selbstsüchtiger Bedürfnisse willen wollen Sie seine Zukunft ruinieren?“, rief sie.
      „Ich habe nicht die Absicht, Stephen zu sagen, wer ich bin. Ich werde unsere Vereinbarung nicht aufheben. Aber ich möchte meinen Sohn von Zeit zu Zeit sehen. Davon wird mich nichts und niemand abbringen“, warnte er sie.
      Julia sah ihn an, und Tränen traten ihr in die Augen.
      Diese Tränen waren nicht gespielt. „Ich würde niemals daran denken, Ihnen meinen Sohn wegzunehmen, seiner Mutter“, sagte er leise. „Das wäre abscheulich.“
      Endlich nickte sie. „Sie haben mich erschreckt. Ich habe mich immer gefragt, wann Sie wohl in unserem Leben erscheinen, um ihn mitzunehmen – oder ihm zumindest die Wahrheit zu sagen.“
      „Sie kennen mich nicht sehr gut.“
      „Nein, das tue ich nicht, denn vor zehn Jahren habe ich eine schreckliche Entscheidung getroffen und dafür reichlich bezahlt.“ Sie ging an ihm vorbei, sodass er nur ihren kerzengeraden Rücken ansehen konnte. Was hatten ihre

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