Die Lady auf den Klippen
Mylord?“
Oh – das war kein schlechter Traum – Blanche Harrington hatte ihn mit seinem Hausmädchen im Bett angetroffen! Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen, überwältigt von Unmut und Verlegenheit.
Einen Moment lang empfand er nur Entsetzen und Scham. Er kannte Blanche Harrington nicht besonders gut, obwohl sie einst ganz kurz mit seinem Bruder Tyrell verlobt gewesen war. Seit ihrer ersten Begegnung vor acht Jahren hatte er sie vielleicht ein halbes Dutzend Mal getroffen. Doch er hatte sofort Bewunderung für sie empfunden; ihre Anmut, Eleganz und ihr Benehmen waren sehr bemerkenswert, und er hatte seinen Bruder für blind und verrückt gehalten, dass dieser sich nicht für sie interessierte. Die wenigen Male, bei denen sie miteinander gesprochen hatten, hatte er sich bemüht, höflich, korrekt und galant zu sein. Er war entschlossen gewesen, in ihrer Gegenwart wie ein perfekter Gentleman zu erscheinen. Wie sollte er ihr jetzt gegenübertreten? Und was, um alles in der Welt, machte sie in Land’s End?
„Ist sie Ihre Zukünftige?“
Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass Anne neben ihm saß. Langsam ließ er die Hände sinken und spürte, wie seine Wangen brannten. Anne hatte ihre Kleider geordnet, aber ihr geflochtenes Haar war vollkommen zerzaust. Sie sah aus, als wäre sie mit jemandem im Bett gewesen – mit ihm.
„Nein“, stieß er schroff hervor. Wie kam sie nur auf so einen Gedanken?
Anne wurde blass und erschrak. Offenbar nahm sie seine Bemerkung als Tadel. „Verzeihung, Mylord“, begann sie.
„Du muss dich nicht entschuldigen. Ich habe mich schlecht benommen.“ Und er verachtete sich dafür. Was hatte er sich dabei gedacht – so etwas am helllichten Tag in seinem Arbeitszimmer zu machen? Oh ja – natürlich. Er hatte nicht mehr an Stephen denken wollen. Nun, das war ihm zweifellos gelungen. Konnte dieser Tag noch schlimmer werden? Und was sollte er tun – oder sagen –, wenn er Lady Harrington das nächste Mal begegnete?
Er konnte sich nichts Peinlicheres vorstellen, eine Begegnung, der er lieber aus dem Weg gehen wollte. Vielleicht könnte er sich in Luft auflösen.
Anne hatte sich erhoben und sammelte jetzt die Papiere ein, die auf dem Boden verstreut lagen. Er sah, was sie tat, ohne es wirklich zu verstehen. Von diesem Schock werde ich mich niemals erholen, dachte er. Auch wenn er im Vergleich zu einer so großen Dame ein Niemand war, hatte er sich in ihrer Nähe stets wie ein Gentleman benommen – in der Hoffnung, zumindest ihren Respekt zu erlangen. Stattdessen verachtete sie ihn jetzt sicherlich.
Und irgendwann musste er Land’s End verlassen. Im Mai würde er in der Stadt sein müssen. Und er war nicht so dumm zu glauben, dass sie bis dahin das kleine Zwischenspiel vergessen haben würde.
Aber warum war sie überhaupt in Land’s End?
Und gab es eine Möglichkeit, sein Benehmen zu entschuldigen, es zu erklären, sodass sie ihn nicht ganz und gar verabscheuungswürdig fände?
Rex griff nach seiner Krücke und erhob sich. Als er sich aufgerichtet hatte, sah er die große schwarze Kutsche der Harringtons auf seinem Hof. Er konnte es nicht glauben.
Sie ist noch immer auf Bodenick.
Wieder stockte ihm der Atem.
Rasch schwang er sich zum Fenster und sah sie mit ihrem Kutscher und einer Zofe zusammenstehen. Den Rücken zum Fenster gewandt, schien sie ins Gespräch vertieft. Er starrte sie an. Sie hielt sich so tadellos wie immer, doch ihre Schultern schienen ein wenig hochgezogen, ihre Haltung wirkte steif. Sie hatte die Fassung verloren – was nur zu verständlich war.
Er kämpfte gegen den Wunsch an, sich zu verstecken, bis sie fort war – doch dieser Kampf war schnell entschieden. Wenn sie in seiner Auffahrt stehen blieb, musste er hinausgehen, sie begrüßen und sich bei ihr erkundigen, was sie so weit nach Süden geführt hatte. Aber er war überrascht, dass sie nicht in ihre Kutsche gestiegen und so schnell sie konnte davongefahren war. Was immer sie für einen Grund gehabt hatte, nach Land’s Ende zu kommen, es musste wichtig gewesen sein.
Rex fluchte. Es gab keine Möglichkeit, ihr jetzt aus dem Weg zu gehen. Er musste sich entschuldigen, das ließ sich nicht umgehen. Nur dass eine solche Entschuldigung noch mehr Befangenheit heraufbeschwören würde – und für ihn wäre es peinlich. Aber wenn er sich nicht entschuldigte, war das noch schlimmer. Verdammt, es gab keine
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