Die Lady auf den Klippen
er.
Rasch drehte er sich um und rief nach seinen eigenen Stallburschen, damit sie ihren Dienern halfen. Dabei spürte er ihren Blick auf sich ruhen, und seine Spannung stieg. Doch eine weitere Runde ungeschickter Entschuldigungen würde nichts nützen. Gewiss verachtete sie ihn schon jetzt.
Er fühlte sich, als könnte er die Ironie nicht ertragen, die darin lag. Immer hatte er sie mit seinem Verhalten beeindrucken wollen und sich insgeheim gewünscht, sie würde ihn bewundern, ein klein wenig zumindest. Stattdessen hatte er ihr einen Blick auf seine wahre Natur ermöglicht.
Als das Gespann zu den Stallungen geführt wurde, fand er sie bei seiner Rückkehr schweigend bei ihrer Zofe stehen. Er sah sie verstohlen an, ehe sie ihn bemerkte. Ihre Haltung wirkte angespannt, beinahe bedrückt, und ihre Nase war von der Kälte gerötet.
Noch einmal holte er tief Luft. Irgendwie hatten sie diese Krise überstanden, wenn auch nur oberflächlich. Sie hatten die Wogen wieder geglättet, obwohl darunter noch gefährliche Strömungen lauerten. Und sie sprachen miteinander. Doch was nun? Er war noch immer sehr verlegen. Sie offensichtlich auch. Er hatte kein Recht, sie zu einer Erfrischung hereinzubitten, aber offensichtlich fror sie, und ein wahrer Gentleman würde so etwas tun. Er hatte Angst, sie könnte die Einladung ablehnen – und er würde eine solche Zurückweisung verdienen, fürchtete sie aber zugleich. Andererseits – wenn sie nun krank würde? Und das alles, weil er seine Triebe nicht beherrschen konnte.
Nie hätte er sich träumen lassen, dass Blanche wie durch Zauberhand auf Bodenick erscheinen könnte. Seit beinahe zwei Jahren hatte er sie nicht mehr gesehen. Er musste gar nicht lange nachdenken, um sich zu erinnern, dass ihr letztes Zusammentreffen auf dem Ball der Carringtons stattfand, als seine Schwägerin ihr Debüt in der Gesellschaft gehabt hatte. Zwei Jahre waren eine schrecklich lange Zeit. Und jetzt wollte sie wieder gehen.
Es war nicht nur die Verlegenheit. Es war mehr als nur die Angst, sie könnte sich erkälten. Er wollte nicht, dass sie ging. Nicht jetzt. Noch nicht.
Eben war die Sonne noch blassgelb gewesen, jetzt schien sie in strahlendem Gold.
Ich bin ein Narr, dachte er.
Denn eigentlich wollte er, dass dieser Besuch angenehm verlief. Aber wie sollte er das bewerkstelligen?
Ehe er noch länger darüber nachdenken konnte, ergriff er die Gelegenheit und sagte so vorsichtig er es vermochte: „Lady Harrington, es ist spät am Nachmittag, und Sie wirken erschöpft. Möchten Sie eine Erfrischung? Vielleicht etwas Tee?“
Langsam drehte sie sich zu ihm um, ohne zu lächeln. Und sie zögerte. „Es war eine lange Fahrt von London hierher“, entgegnete sie schließlich. „Ich bin nicht so durchgefroren, aber meine arme Zofe friert schon den ganzen Tag. Wenn es Ihnen nicht unangenehm ist, dann hätte ich gern eine Tasse Tee, auch für Meg.“ Aus ihren sanften Augen sah sie ihn an.
Ihm schien, als sähe er ihre Unsicherheit darin. „Sie können mir niemals unangenehm sein“, sagte er schroff, aber er meinte es ernst. „Bitte.“ Er deutete zur Tür, und sie ging mit ihm ins Haus zurück, nicht ohne ihre Zofe zu bitten, ihr zu folgen. Und dann trat ihnen in der Halle Anne entgegen.
Er spürte, dass er errötete. Es behagte ihm ganz und gar nicht, dass sein Hausmädchen anwesend war, aber sein Diener war mit anderen Aufgaben betraut. Bewusst vermied er es, Blanche anzusehen. „Anne, bitte bringe Tee für zwei und Sandwiches. Und bitte führe Lady Harringtons Zofe in die Küche, damit sie sich aufwärmen und auch ein wenig erfrischen kann.“
Anne nickte und ging mit dem Mädchen davon.
Rex sah, wie Blanche ihr nachstarrte. Er brauchte keine Kristallkugel, um zu wissen, dass sie sich fragte, in welcher Beziehung er wohl zu dem Hausmädchen stand – und sich vermutlich an das erinnerte, was sie gerade gesehen hatte. Doch als sie bemerkte, dass er mitbekam, wie sie Anne hinterherblickte, errötete sie und wandte sich dem Fenster zu. „Ich wusste nicht, dass die Küste hier so schön ist.“
„Wenn Sie einen Strandspaziergang machen wollen, müssen Sie aufpassen. Die Flut kommt hier sehr schnell.“
Nur kurz sah sie ihn an. „Ich werde es nicht vergessen.“
Offenbar gelang es ihnen doch nicht, die Verlegenheit zu überwinden. Oder jedenfalls nicht, solange Anne in der Nähe war, die unweigerlich an sein
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