Die Lady auf den Klippen
leid. „Blan… ich meine, Lady Harrington, ich habe nichts davon gehört. Mein aufrichtiges Beileid.“
Der Wunsch, sie zu berühren, vielleicht sogar ihre Hand zu nehmen, überwältigte ihn beinahe, aber so etwas würde er niemals tun.
Sie sah ihn weiterhin an, ohne Tränen, vollkommen gefasst. „Vielen Dank. Vater starb vor sechs Monaten – er erkrankte an einer Lungenentzündung, und es ging sehr schnell. Ich habe gerade erst die Trauerkleidung abgelegt.“
Endlich nahm er Blanche gegenüber Platz. Er konnte nicht glauben, dass sie so gefasst war. Ihr Vater war der Mittelpunkt ihres Lebens gewesen. Hatte sie all ihre Tränen vergossen, die Trauer überwunden, in sechs kurzen Monaten? Das konnte er nicht glauben.
Trotz seiner großen Bewunderung für sie hatte er sich immer gefragt, womit ihre scheinbar unerschütterliche Haltung zu durchdringen sein könnte. Er hatte stets gespürt, dass unter ihrem perfekten Äußeren große Leidenschaft lag. Manchmal hatte er sich sogar gefragt, wie sie wohl im Bett sein mochte.
Nun, falls Blanche noch immer trauerte, so würde sie das niemals in Gesellschaft tun. Er vermutete, dass sie jede Nacht allein weinte, und dazu hatte sie auch jedes Recht. Und ausgerechnet er hatte endlich ihre Haltung erschüttert – mit seinem Schäferstündchen. Doch sie hatte sich schnell wieder gefasst.
Jetzt spürte er, dass er sie deswegen nur noch mehr bewunderte. Welche Ironie! Denn die Bewunderung, die sie bisher für ihn empfunden haben mochte, war nun zweifellos dahin.
„Ich wünschte, ich hätte davon gewusst“, sagte er. „Ich wäre sofort nach London gekommen und hätte persönlich kondoliert.“
Sie lächelte ihn an. Dann, nach einer Pause, meinte sie: „Mir ist gar nicht aufgefallen, dass Sie keine Karte geschickt haben.“ Sie blickte an ihm vorbei zum Fenster.
Anne kam herein und brachte ein Silbertablett mit einer Teekanne aus Porzellan, zwei Tassen und Tellern. Als sie alles auf dem kleinen Tisch neben Blanche abstellte, erklärte er, einschenken zu wollen. Überrascht sah sie ihn aus ihren blaugrünen Augen an. „Sir Rex, lassen Sie mich das machen.“
„Ich schenke ein“, wiederholte er. Sicher hatte sie sich deshalb angeboten, weil er nur noch ein Bein besaß und sie nicht wusste, dass er mühelos aufstehen und Tee in eine Tasse gießen konnte, trotz der Behinderung. Er mochte kein Mitleid und schenkte ihr geschickt zuerst ein.
Als er sich mit seiner eigenen Tasse wieder gesetzt hatte, sah er, dass die Sonne bereits unterging. Der Himmel über den dunklen Mooren leuchtete scharlachrot. Sofort war er sehr besorgt. „Lady Harrington, die Fahrt nach Penthwaite dauert eine Stunde. Und ehrlich gesagt bin ich etwas besorgt, weil ich fürchte, es hat da eine Verwechslung gegeben. Und selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, bin ich doch davon überzeugt, dass sie dort keine angemessene Unterkunft vorfinden werden.“ Wenn er es ihr anbot, würde sie dann über Nacht bleiben?
Blanche stellte Tasse und Teller ab. Dann sah sie ihn direkt an. „Ich fürchte, ich habe keine andere Wahl.“
Sein Herz schlug schneller. Wieso sollte er ihr kein Quartier anbieten? Sie würde ablehnen – sie musste ihn jetzt verachten. Auch wenn ein Gentleman nicht mit einem Hausmädchen schlief, betrachtete er sich selbst als Gentleman, oder jedenfalls war er als solcher erzogen worden. „Ich habe vielleicht eine Lösung – auch wenn ich nicht weiß, ob Sie das interessiert.“
„Ich bin ganz Ohr“, antwortete sie leise und schenkte ihm endlich das engelhafte Lächeln, das er so oft in seinen Träumen gesehen hatte.
Er zögerte, dann sprach er weiter und versuchte, möglichst beiläufig zu klingen. „Wie Sie sehen, geht es auf Bodenick recht spartanisch zu. Aber ich verfüge über mehrere Gästezimmer, und eines davon hat die Countess nach ihrem persönlichen Geschmack eingerichtet. Wenn Sie es wünschen, gehört es Ihnen.“
Sie sah ihn aus großen Augen an.
Nervös fuhr er sich über die Lippen. „Und natürlich gibt es auch ein Zimmer für Ihre Zofe sowie einen Schlafraum für den Kutscher und den Diener im Dienstbotenflügel.“
Sie lächelte wieder. „Vielen Dank. Ich würde gern hier übernachten, Sir Rex.“
Blanche wusste, dass sie das Hausmädchen anstarrte, als die hübsche junge Frau einen Krug mit Wasser neben ihrem Bett abstellte. Das Zimmer war recht nett eingerichtet, in
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