Die Lady auf den Klippen
unangemessenes Verhalten erinnerte.
Doch falls Lady Harrington ihn verabscheuungswürdig fand, so verbarg sie das geschickt. Sollte sie ihn jetzt dennoch verachten, würde sie ihren Tee trinken und dann so schnell wie möglich aufbrechen, wie er vermutete. Und er kam zu dem Beschluss, dass die Länge ihres Besuches ein Anzeichen für ihre Gefühlslage sein würde. „Die beste Zeit für einen Spaziergang ist ungefähr ein oder zwei Stunden vor Mittag.“
Jetzt lächelte sie ihm tatsächlich zu. „Ich werde am Strand entlanggehen, ehe ich in die Stadt zurückkehre.“
Überrascht zuckte er zusammen, denn sie schien endlich die Fassung zurückgewonnen zu haben. Nun, da Anne nicht zu sehen war, kam sie ihm entgegen. Und als sie sprach, wusste er, dass sie es ernst meinte. „Sie haben ein reizendes Zuhause, Sir Rex.“
Blanche trat zu einem Stuhl, und er folgte ihr. Sein Haus war bescheiden, aber er war sicher, dass es ihr wirklich gefiel. „Ich habe viele Jahre damit verbracht, nicht nur das Schloss zu renovieren, sondern das gesamte Anwesen. Mir gefällt es auch. Vielen Dank.“
„Ich hatte kein Schloss erwartet“, sagte sie. Ihre Blicke begegneten sich, dann sahen sie beide schnell weg.
Sein Herz schlug plötzlich schneller. „Ich auch nicht, jedenfalls nicht, als ich Bodenick und den Titel bekam.“
Sie sah auf. Ihm stockte der Atem. Plötzlich schien der schreckliche Moment vergessen, den sie erlebt hatte.
Es war unglaublich, wie in einem Traum. Blanche Harrington saß hier mit ihm in der Halle. Sie erhellte den Raum, wie die Sonne es niemals vermocht hätte und niemals tun würde. Dabei hatten seine Schwägerinnen und seine Schwestern ihm in letzter Zeit mehr und mehr zugesetzt, weil er noch immer nicht verheiratet war. Er war kein Narr und wusste, dass sie alles daransetzen würden, ihn verheiratet zu sehen.
Bedrückt wurde ihm bewusst, dass er niemals eine Frau wie diese finden würde. Und mit weniger wollte er sich nicht zufriedengeben. Auch ohne sie gut zu kennen, wusste er, dass sie durch und durch eine Dame war, unfähig, ihn zu verraten oder zu belügen. Seine schmerzvolle Vergangenheit hatte ihn misstrauisch werden lassen gegenüber Damen, die eine Beziehung mit ihm wollten, doch er wusste, dass Blanche Harrington absolut vertrauenswürdig war.
Aber natürlich war sie nicht für ihn bestimmt. Eines Tages würde sie ein beachtliches Vermögen erben, und dann einen Mann von hohem Rang heiraten, der vermutlich verarmt war, keinen knapp dreißigjährigen Edelmann, der wie ein gewöhnlicher Mann auf einem Land arbeitete, das kein vernünftiger Gentleman je besitzen wollte.
Noch immer konnte er nicht begreifen, dass sie ihn nicht verachtete.
Er räusperte sich. „Darf ich fragen, warum Sie nach Penthwaite unterwegs sind?“
Anmutig strich sie ihren hellgrauen Rock glatt, eine Farbe, die zu ihren Augen und ihrem Haar passte. „Ich habe mich entschlossen, vor meinen Verehrern zu fliehen“, erklärte sie sachlich. „Erinnern Sie sich an meine Freundin Lady Waverly? Sie schlug Vaters Landsitz vor.“
Er sah sie an, während seine Gedanken sich überschlugen. Jeder wusste, dass Blanche Harrington kein Interesse an einer Heirat hatte. Dabei hatte er immer geglaubt, dass sie eines Tages ihre Meinung ändern würde. „Was hat Penthwaite mit Harrington zu tun?“
Sie blinzelte. „Ich habe gerade erfahren, dass das Haus zum Vermögen der Harringtons gehört. Ich fürchte, Vater hat mich über seinen Besitz im Dunkeln gelassen, und jetzt muss ich natürlich alles darüber lernen.“
Er wurde noch verwirrter. „Ich hatte den Eindruck, dass Penthwaite einem Gentleman gehört, dem das Leben in der Stadt so viel lieber ist, dass er es verfallen lässt. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es Pächter gibt.“
Sie setzte sich gerade hin. „Sie müssen sich irren. Penthwaite gehörte meinem Vater. Meine Anwälte haben gerade erst die Unterlagen gefunden.“
„Sie sprechen in der Vergangenheitsform.“
Aus großen Augen sah sie ihn an. „Sie wissen es nicht?“
Ihre Frage bereitete ihm Unbehagen. „Ich weiß was nicht, Lady Harrington?“
Sie zögerte, und ihre Blicke begegneten sich. „Mein Vater ist verstorben.“
Er war verblüfft. „Davon war mir nichts bekannt!“, rief er aus. Da er wusste, wie nahe Blanche ihrem Vater gestanden, wie sehr sie ihn geliebt hatte – und er sie –, tat sie ihm sehr
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