Die Lady in Weiß
ihn selbst überrascht, es war das erste Mal, dass seine Großmutter ihm geschrieben hatte. Er konnte sich kaum noch an ihr Gesicht erinnern, und er glaubte nicht, dass es ihr anders erging, aber das würde er dem Anwalt gewiss nicht erzählen. „Sie hat an mich geschrieben, weil sie Ihnen nicht traut. Und warum sie nicht an Caro schreibt, können Sie sich ja denken. Seit vierzehn Jahren lebt sie nun auf dem Kontinent, nur damit sie das kleine Flittchen nicht treffen muss, das ihren Frederick verhext hat. Bedenken Sie das, Perkins. Seit vierzehn Jahren lebt die arme alte Dame traurig im Exil.“ Perkins schob sich seine Augengläser auf der Nase zurecht und überflog den Brief. Er erinnerte sich sehr gut an die verwitwete Countess, und er konnte sich nicht vorstellen, dass vierzehn Jahre ausreichten, um aus ihr eine arme alte Dame zu machen. Und was das traurige Leben im Exil anging - er hatte auf Lord Byfields Bitte hin die Unterhaltszahlungen geregelt und könnte mühelos ganze Städte benennen, die weit niedrigere Summen für ihren Haushalt zur Verfügung hatten.
„Ich kann verstehen, dass sie gern nach Hause zurückkehren möchte“, sagte der Anwalt, während er weiterlas, „aber das ist ihre eigene Entscheidung, nichts für die Gerichte. Ich weiß nicht, wie sie darauf kommt, dass ihr Hass gegen ihre Schwiegertochter sie dazu berechtigen könnte, das Verfahren wegen ihres Sohnes zu beschleunigen. Dieses Recht hat nur die gegenwärtige Lady Byfield. “
„Aber sicher wird doch eine Dame ihres Standes ... “
„... genauso behandelt wie jeder andere“, beendete Perkins den Satz. Der Brief der alten Countess war mit ihren üblichen Drohungen und Beleidigungen gespickt, und es freute ihn, dass sie damit niemandem mehr schaden konnte. „Oh, sie könnte wohl versuchen, einen oder zwei Richter zu bestechen, aber die alte Dame wird feststellen, dass der gegenwärtige Earl und die Countess in der Grafschaft durchaus angesehen sind. Die öffentliche Meinung wäre in jedem Falle gegen sie.“
„Aber dass eine Lady in ihrem Alter zusehen muss, wie ihr guter alter Name ausstirbt, während sie vergeblich darauf wartet, dass der rechtmäßige Erbe zu ihrer Freude einen Sohn zeugt, um das Geschlecht der Byfields zu erhalten ...“ „Ich kann die Worte Ihrer Großmutter selber lesen, Sie müssen sie mir nicht aufsagen, Mr Stanhope“, sagte der Anwalt und dachte, dass George Stanhope vermutlich nicht einmal die Bedeutung der Worte kannte, die er da wiederholte. „Ich nehme an, dass sie von Ihnen den besagten Urgroßenkel erwartet? Ich wusste gar nicht, dass Sie die Absicht haben zu heiraten.“
George lächelte und zupfte an seinen Manschetten. „Die jüngste Tochter des Marquis of Coverdale hat mir angedeutet, dass sie meine Werbung annehmen würde. Natürlich erst, wenn mein Titel und mein Besitz gesichert sind.“ „Natürlich“, sagte Perkins trocken. Er faltete den Brief zusammen und reichte ihn George. „In fünf Jahren wird das zweifellos der Fall sein. In der Zwischenzeit grüßen Sie bitte Ihre Großmutter von mir, wenn Sie ihr das nächste Mal schreiben. Guten Tag, Mr Stanhope.“
„Warten Sie. Verdammt, Perkins, warten Sie!“ George geriet in Panik und weigerte sich, den Brief zu nehmen, während er verzweifelt nach einer neuen Möglichkeit suchte. Er war so sicher gewesen, dass der Brief seiner Großmutter ausreichen würde, um Perkins auf seine Seite zu bringen, daher hatte er nicht darüber nachgedacht, was er tun sollte, wenn das nicht der Fall war. „Was passiert, wenn Caro nicht mehr auftaucht? Was, wenn sie sich entscheidet, bei dem Straßenräuber zu bleiben, und nie mehr nach Hause kommt?“
„Sie wollen wissen, was passiert, wenn Lady Byfield wirklich nie wieder zurückkehrt und damit ihren Pflichten nicht mehr nachkommen kann?“
George nickte eifrig. „Dann wäre ich derjenige, der sie alle beide für tot erklären lassen kann, nicht wahr? Dann wäre es meine Entscheidung, und ich müsste nicht auf die Zustimmung eines selbstsüchtigen kleinen Frauenzimmers warten, das die große Dame spielt.“
Der Anwalt sah George kalt an, als er sich über den Schreibtisch beugte und ihm den Brief in die Hand schob. „Wenn es dazu käme, Mr Stanhope, würde ich sofort vermuten, dass man Lady Byfield übel mitgespielt hat. Und Sie, Sir, wären mein erster Verdächtiger.“
Die Sonne hatte fast schon ihren höchsten Stand erreicht, als die Mietdroschke am Handelsanleger hielt. Zwei Schiffe
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